Sonntag, 25. Januar 2009
Anstatt eines Vorwortes
Lieber Willi,
nun hat mein Sohn Benedikt einen Blog eingerichtet, so wie wir das vereinbart haben. Die „Zukunftspost“ ist aus der Taufe gehoben!
Diese Zukunftspost haben wir zwei ja als ganz interessantes Experiment gedacht: Ein Buch in offenen Briefen, für alle, die es interessiert offen. Wir wollen über unsere „Zukunftspost“ schön langsam eine revolutionäre Sichtweise der Entwicklung unserer Welt schaffen, sowohl aus wissenschaftlichem Blickwinkel als auch aus unserer persönlichen Erfahrung heraus. Wie in einem Ping-Pong Spiel wollen wir über diese „Zukunftspost“ uns gegenseitig immer wieder fordern, jedem „Ping“ eines Briefes von mir soll ein „Pong“ eines Briefes von Dir folgen. Gemeinsam sollen diese Briefe schließlich eine immer weiter fortlaufende intellektuelle Auseinandersetzung mit den Grundfragen von Entwicklung, aber auch mit der Bedeutung der Erkenntnisse, die wir gemeinsam erarbeiten für die Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft, werden. Keiner von uns beiden weiß, wohin uns unser Experiment schließlich führen wird. Das einzige, was wir uns wirklich vornehmen wollen ist, dass uns in dieser Diskussion keine Konventionen, keine „political correctness“ und kein Vorurteil aufhalten sollen. Wir wollen hier vor den Augen aller interessierter Lesrinnen und Leser ganz einfach eine jener offenen und für mich so bereichernden Diskussionen abführen, die ich schon öfter das Glück hatte, mit Dir führen zu dürfen!
Vielleicht sollte ich aber, um einen Einstieg in unsere „Zukunftspost“ zu schaffen, einmal einige meiner Grundthesen festhalten. Das soll anderen Kolleginnen und Kollegen einmal die „Blattlinie“ unserer „Zukunftspost“ darstellen, damit sie auch gleich wissen, ob es sich für sie auszahlt, dieses Post auch weiterhin zu lesen. Andererseits hoffe ich natürlich, dass Du genug Stoff in diesen Thesen findest, um mir ein gehöriges „Pong“ auf mein freches „Ping“ um die Ohren zu schmettern. Denn jedes Ping-Pong kann nur dann gut werden, wenn man einen ordentlichen Aufschlag über das Netz dreht. Na, dann los:
Die Welt, so wie ich sie sehe:
Die Zeitenwende ist da
Wir stehen vor einer gewaltigen Zeitenwende. Ein neues Zeitalter, in dem sich die Menschheit untereinander und mit der natur vernetzt, steht vor der Tür. Dieses Zeitalter kommt nicht, weil wir sie herbeiwünschen und herbeireden. Es ist ein ganz logischer Schritt in der Entwicklung der Menschheit. Nachhaltigkeit wird das kennzeichnende Paradigma dieser neuen Zeit sein. Sie kommt, ob wir wollen oder nicht.
Dieses neue Zeitalter ist die Folge eines tiefgreifenden Wandels in unserem Weltbild. Solche Wandel sind natürliche Schritte der Entwicklung der Menschheit, sie kommen in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen vor. Die Kopernikanische Wende, die den Menschen aus dem Mittelpunkt des Universums gedrängt hat und die Naturwissenschaft als Erklärungsmuster etabliert hat, war die letzte solcher Geisteswenden.
Die jetzige Zeitenwende basiert auf den Erkenntnissen der Naturwissenschaften des 20. Jahrhunderts. Relativitätstheorie, Quantenphysik und Theorie der Selbstorganisation sind die Schlüsselbegriffe dieser Wende. Ohne auf diese einzelnen Erkenntnisse hier einzugehen (wir werden noch genügend Raum für Wissenschaft in diesem Blog haben!) kann man zusammenfassen, dass aus dieser neuen Weltsicht Realität plötzlich nichts fest Vorgegebenes, sondern etwas dauernd Ablaufendes, Prozesshaftes ist. Nichts ist mehr „einzeln“ und isoliert, alles ist miteinander in Verbindung und im Austausch von Energie und Stoff. Wahrnehmung als aktiver Prozess zwischen Teilen eines Ganzen wird zum „Produktionsprozess“ der Realität.
Die neue Holistische und Vernetzte Realität
Diese neue Weltsicht ist aber nicht nur ein kultureller Vorgang, sondern ein gesamthafter Entwicklungsschub, der alle Aspekte unserer Gesellschaft erfasst. Die Erkenntnis der Vernetztheit innerhalb unserer Weltgesellschaft, aber auch mit der Mitwelt bestimmt in zunehmendem Maß unser politisches Handeln. Wir haben Hungersnöte in anderen Kontinenten in den Fernsehern unserer Wohnzimmer, wir sehen Konflikte im Nahen Osten als unsere Konflikte an, wir erkennen ihre Wirkung in Zuwanderung, Kulturauseinandersetzung und sogar Terror. Wir sehen unsere Wirkung auf das globale Klima (über das wir in diesem Blog noch sehr viel mehr und auch zur derzeitigen Sichtweise widersprüchliches sagen werden!) als eine umfassende Herausforderung der menschlichen Gesellschaft an. All diese Veränderungen in der „Software“ unserer menschlichen Gesellschaft sind noch relativ neu, sie sind Ausdruck dieser neuen Weltsicht und auch der Technologie, die sie mit sich bringt.
Hier kommen wir zu einem ganz besonders interessanten Aspekt des Weltbildwandels und der Zeitenwende: Sie sind beide schon da und manifest. Sie wirken nicht nur durch ihre intellektuelle Attraktion, sie sind vielmehr Fleisch oder besser Metall und Plastik geworden. Ohne Quantenphysik kein Microchip, kein Computer, kein Handy, nicht einmal ein modernes Auto oder gar ein Flugzeug. Im Gegenzug verändern diese Technologien unsere Kultursoftware. Wir sind über sie mit allem verbunden, wir haben instantane Information über alles, was wir wollen, an jedem kleinen Laptop hängt das ganze Wissen der Menschheit wie ein gigantisches Informationshologramm in der Form des „www“, des „world wide web“. Das sagt ja bereits in seinem Namen alles.
Aber wir sind auch sonst munter vernetzt. Wir hängen an Stromnetzen, an Gasnetzen, an Wassernetzen. Ohne sie ist unsere Gesellschaft nicht mehr lebensfähig, wie die bedrohlichen Erfahrungen von ganz kurzen, nur Stunden dauernden Stromausfällen jedem Betroffenen eindringlich nahebringen.
Daher ist eine meine Grundthesen ganz einfach: Wir leben schon in der Zeit der Nachhaltigkeit, der Vernetztheit, der neuen Weltsicht. Wir wissen es nur noch nicht.
Die neue Wissenschaft
In diesem neuen Zeitalter bleibt kein Stein auf dem anderen, es ist ein ebenso radikaler Bruch in der Geschichte wie es der Beginn der mechanistischen Neuzeit im Vergleich zum scholastischen Mittelalter war. Natürlich trifft das auch auf die Wissenschaft, ihre Methoden und vor allem ihre Erkenntnisse zu.
In dieser neuen Zeit ist alles prozesshaft, ablaufend. Nix is fix, wie es bei uns in Österreich so schön heißt. Auch die Wissenschaft nicht, auch nicht ihre Erkenntnisse (übrigens natürlich auch nicht unsere, die wir in diesem Blog hier darstellen werden!). Ein wesentliches Resultat dieser Prozesshaftigkeit ist der Verlust des Anspruchs auf absolute Wahrheit, den die Wissenschaft sich gewöhnt hat zu erheben. Wissenschaft wird zum Prozess der intellektuellen Auseinandersetzung mit der Realität, ein Akt der Reflexion.
Das rückt Wissenschaft nicht weniger, sondern stärker in das Zentrum des gesellschaftlichen Diskurses, der unsere Kultur weiterentwickelt. Wissenschaft wird von ihrer unangenehmen und statischen Richterrolle entbunden, die sie derzeit in unwürdiger Weise in der Form von Gutachten und Gegengutachten zum Spielball der Mächtigen macht. Sie wird vielmehr zum Blindenstock der Gesellschaft, notwendig, um sich voranzutasten, lebenswichtig, um vor Gefahren zu warnen. Nur wenn die Gesellschaft diesen Blindenstock hat und auch richtig einsetzt, wird sie sich in dieser neuen Zeit zurechtfinden, in der alles vernetzt, komplex und im Fluss ist.
Das bedeutet natürlich auch, dass viele der bisher ehern festgeschriebenen „Naturgesetze“ plötzlich in der Nacktheit ihrer tatsächlichen Bedeutung da stehen. Sie sind nicht mehr als menschgemachte Theorien, mehr oder weniger durch die Realität bestätigt, aber eben nicht „wahr“ und „ewig“. Sie warten nur darauf, dass irgendwer sie widerlegt, wie das schon Karl Popper geschrieben hat. Deshalb sind sie nicht weniger hilfreich. Sie sind notwendig, um eben weiterzukommen und weiterzuforschen. Sie sind Meilensteine, keine Zielflaggen.
Aus diesem Grund werden wir auch in unserem Blog ganz ungeniert einige dieser Heiligtümer recht frech angehen. Wir haben zwar ebenso nicht den Anspruch auf volle Wahrheit. Aber wir können vielleicht einige interessante Beiträge zum Grundverständnis von Entwicklung leisten. Das wird unser Hauptfokus sein: Wir sind nicht an den großen Trends, an ihrer Interpretation interessiert. Wir wollen diskutieren, wie sich Strukturen entwickeln, welche neuen Wege es gibt, Grundeigenschaften von Entwicklung zu erklären und wie sich diese Erkenntnisse auf unsere ganz praktischen Entscheidungen auswirken. Unser intellektuelles Tischtennismatch soll nicht Zukunftsforschung sein. Es soll zeigen, wie man Zukunft macht!
Damit viele Grüße nach Berlin
Dein Michael
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