Montag, 7. Februar 2011

Betrachtung zu den Dimensionen des Wissens

Lieber Michael,
Recht herzlichen Dank für Deinen Brief zum Jahreswechsel, Deine Vorschläge für die zukünftigen Themen insbesondere über die Selbstorganisation einer zukunftsfähigen Gesellschaft sind es wert etwas näher betrachtet zu werden.
Was mir unmittelbar in Deinem Blog aufgefallen ist sind die Ansätze zur gesellschaftlichen Steuerung, diese geschieht heute fast immer mittels Gesetzen, die wenigstens in unseren Ländern „demokratisch“ entstanden sind und mit dem Machtmonopol durchgesetzt werden. Seit den Steintafeln von Moses würden zum Regeln heute ganze Steinbrüche bzw. Gebirge benötigt werden. Mir scheint deshalb diese Art von Steuerung maßlos und zum Großteil überflüssig, da sie automatisch zu immer größer werdenden Ineffizienzen führt d.h. der Verwaltungs- und Kontrollaufwand steigt an und die Strafmaßnahmen erfordern immer höhere Kosten. Selbstorganisation erfordert Grenzen und Rückkopplungen, diese aber sind durch Verteilungen von Fläche und Flächenausstattung und der wirtschaftenden Anzahl von Menschen im Raum gegeben. In den menschlichen Gesellschaften wurden fast alle Rückkopplungen sukzessiv eliminiert und durch beliebige Regulierungsanstrengungen von den einzelnen Verwaltungen ersetzt. Für den Gesetzgeber gibt es kaum Kriterien für eine nachhaltige Gesetzgebung. Im Laufe der Zeit sind alle evolutionären Regeln die sich die Gesellschaft ausgebildet haben durch Verwaltungsrichtlinien ersetzt worden. Wir brauchen heute eine komplexe und spitzfindige Institution der Rechtspflege, um die Gesellschaft zu verwalten und sehen in der Lückigkeit der Gesetze, immer wieder die Möglichkeit ohne Furcht vor Rückkopplungen zu reüssieren. Hier liegt wahrscheinlich auch einer der Günde warum die Größe einer gesellschaftlichen Struktur die Efizienz und Nachhaltigkeit bestimmt wie dies Leopold Khor deutlich erkannt hat. Natürlich hängt dies mit der Erziehung unserer Kinder im Heim und unseren Schulen zusammen. Sonst gäbe es ja eine Korrelation zwischen den Pisa Ergebnissen und der Größe und Stabilität unserer Gesellschaften.
Außerdem scheint, dass das Wissen in unseren Schulen als abstraktes Wissen mit Universalitätsanspruch als sogenanntes „objektives Wissen“ gelehrt wird. Die Auseinandersetzung mit der Praxis lässt uns jedoch bald erkennen, dass unsere aus dem Wissen abgeleiteten Theorien, für die Umsetzung Erfahrungen und Kenntnisse bezüglich der raumzeitlichen Verteilungen, der Dynamik und Eigenschaften der Objekte und ihrer Umgebung voraussetzen. Der Teufel steckt ja wie wir wissen im Detail – die Reduktion unseres Wissens ist aus diesem Grund zwar für Tätigkeiten in einem geschaffenen spezifischen Umfeld wie z.B. in einer Küche, Werkstatt bzw. einer Fabrik erfolgreich möglich, scheint aber für die praktischen Probleme mit unserer Umwelt in Interaktion mit einzelnen Gesellschaften, durch sich dauernd ändernde Rückkopplungen (Alles mit Allem) und nichtlineare Entwicklungen kaum beherrschbar, geschweige denn berechenbar oder richtungssicher planbar.
Wenn wir als wichtigstes Beispiel für den Evolutionsprozess die Entstehung der Organismen, des Menschen und unserer Umwelt sehen, merken wir, dass die Selbstorganisation zum Zeitpunkt der evolutionären Prozesse harte Grenzen und bestimmte Systemgrößen benötigte weil nur unter limitierten Verhältnissen in relativ kurzen Zeitspannen sich mehr oder weniger geschlossenen Kreisläufe ausbilden konnten und sich unter diesen Verhältnissen der Wirkungsgrad der Systeme optimierte. Der entscheidende Punkt war dabei, dass dabei die verbesserte Ressourcenökonomie des einzelnen Systems zwei Möglichkeiten gleichzeitig bot, nämlich einerseits benachbarte Systeme mit effizienteren Organismen bzw. Zellen auszustatten und dabei die weniger effizienten zu verdrängen, andererseits intern die Entropie abzusenken und innerhalb der Zellen bzw. Organismen einen störungsfreien Raum (Hilbert-raum) zu verwirklichen, der mit weniger externen Stoffwechselprozessen nachhaltiger überleben konnte. Die Größe und Ressourcenausstattung der einzelnen Zellen waren wohl für die Dynamik des Evolutionsprozesses maßgeblich. Jedes Wachstum oder Schrumpfen der einzelnen Zelle führte dabei zu einer suboptimalen Absenkung der Effizienz bezüglich der Ressourcennutzung. Die Anzahl der Zellen pro Lebensraum wurde immer mehr abhängig von der gegebenen Raumausstattung sowie der vollständigeren Dissipation der im Lebensraum zur Verfügung stehenden Energie.
Die Kopplung der einzelnen Zellen zu verschiedenen emergenten Organismen konnte eigentlich nur eine Spielregel verfolgen, und zwar eine weitere Schließung der Kreisläufe auf der nächst höheren Ebene. Die ursprüngliche mit jeder neuen Zelle in der Umwelt anwachsende Entropie konnte durch diese Kopplungen verringert werden. Dabei diente als Basis der Stoffwechselprozesse das Wasser. Die autotrophen Organismen (vorrangig grüne Pflanzen) spalteten das Wasser durch die Photosynthese in Elektronen und Protonen bei gleichzeitiger Fixierung von Energie während die heterotrophen Organismen (vorrangig Bakterien, Pilze und Tiere) durch die respiratorische Synthese von Wasser die gewonnene Energie wieder dissipativ nutzen konnten. Je „besser“ die gekoppelte Struktur dieser Nahrungskette ausgebildet war (P/R=1), desto besser (kohärenter und nachhaltiger) entwickelten sich die Ökosysteme. Bis zuletzt der Mensch als bewusst, denkender Organismus und ausersehen als besonders „ intelligenter“ Steuerer der Ökosysteme, evolutionär geschaffen, auftrat und sukzessive alle Grenzen durch die Beantwortung der Frage „Quis ut Deus?“mit dem Ich beseitigte und nun den Turmbau zu Babel in der Degradierung und Kastrierung seiner Kultur, seiner Gesellschaft sowie teilweise seiner Mit- und Umwelt vollendend erlebt.
Das Beseitigen jeglicher Grenzen zur Steuerung der Märkte, das Entwurzeln von Völkern, Pisa, das Verkaufen von heißer Luft- Zertifikaten, das Vergraben von Treibhausgasen (Vattenfall), das Verkleiden von „political corectness“ mit Demokratie, das Privatisieren von Subsistenz findet heute in einem Hexentanz statt. Die Hybris (Eigendünkel) von Gesellschaften glaube gilt es heute in unserem Schulbetrieb und Wissensbildungsprozess zu beseitigen. Wir lernen zwar immer mehr und mehr objektbezogenes Wissen, wir lernen jedoch nichts vom Wert menschlicher Beziehungen, nichts von angepassten Verteilungen, Unsere Rechenkünste sind grenzenlos und verlieren damit den Wirklichkeitsbezug zur anisotropen und inhomogenen Natur. Die Unterschiede zwischen Kultur und Zivilisation schwinden zunehmend in geschichts- und kontextlosem Unterricht.
Die wichtigsten Fähigkeiten des Menschen liegen im Beseitigen von Beliebigkeiten, im Schaffen von Kohärenz, im Eingehen von zwischenmenschlichen Beziehungen, im Schaffen von notwendigen rückkoppelnden Grenzen für die Selbstorganisation als Weg zu störungsärmeren Lebenssystemen. Kulturen müssten wieder zeitliche und historische Kontinuität in sich bergen. Kriterien im Umgang mit Energie sowie Wege zur Dämpfung derselben in gesteuerten, vollständigen Kreisprozessen und Kopplungen. All dies sollte das Objekt Mensch zum lebendigen Menschen wandeln und es ermöglichen die Lebensqualität in menschlichen Beziehungen zu erleben. Eine beziehungsorientierte, kohärente Bildung anstelle eines reduktionistischen objektorientierten Wissens das sich zur bestmöglichen Einpassung des Menschen als temporärer, kostengünstiger Teil in technischen Systemen und gesetzestreuen, jährlich mehr verdienenden Konsumenten eignet, wäre ein Weg. Wir sind uns glaube ich hier sehr einig, dass „Bildung, der Erwerb und die Pflege jener Fähigkeiten ist, die es einem Menschen möglich machen, an der gesellschaftlichen Selbstorganisation teilzuhaben“ wie Du dies in Deinem Buch ausgedrückt hast.

Die Menschheit wird es sicher nicht schaffen sich auszurotten, auch wenn einige, teils aus Dummheit teils aus Gier, dies anzustreben versuchen. Im Gegenteil nach einer Phase des globalen Niederganges ist ein neues goldenes Zeitalter nicht ganz unwahrscheinlich. Nachdem sich die heutigen sogenannten demokratischen Gesellschaftsgebilde aufbauend auf einer immer spekulativer werdenden (pseudo) wissenschaftlichen Basis zu mehr und mehr Dogmatik und Wachstum outen und durch politische Alimentation und Prostitution der Wissenschaft kaum mehr tiefer sinken können, erscheint zunehmend in kleinen zellularen Strukturen neue kleinräumige und effiziente Nachhaltigkeit in Form einer neuen Vergesellschaftung auf der Basis der Beziehungen und der Kommunikation.
Du, lieber Michael hast dies bereits sehr früh erkannt und Deine Tätigkeiten immer in den Dienst dieser Entwicklungen nach dem Motto „und neues Leben blüht aus den Ruinen“ gestellt. Du hast dies in den“ Inseln der Nachhaltigkeit“ sehr treffend geschildert. Ein wesentlicher Teil dieser Entwicklung ist dabei meines Erachtens die neue Offenheit im Internet, wobei zwar die Art wie Wickileaks dies verwirklicht für mich anfänglich etwas gewöhnungsbedürftig war, bei genauerer Betrachtung zeigen sich jedoch in den Foren, den Chats und den Blogs genau solche Ansätze. Auch eine neue „Mundart Wissenschaft vernacular science“ scheint sich zu entwickeln. Eine Soziologin „Ariel Salleh“ aus Australien hat diesen Ausdruck in einer ihrer Schriften verwendet. Das Internet scheint auch für mich eine evolutionäre Komponente zu sein, die einen großen Einfluss auf die zukünftige Entwicklung nimmt und allmählich schon stark das in der Schule Gelernte hinterfragt und damit auch die gesellschaftlichen Wertungen verändert. Ich bin auch heute schon überzeugt, dass damit auch unsere gesamten Schulsysteme auf den Prüfstand müssen, von Grund auf erneuert und wie ich hoffe auch wesentlich effizienter gestaltet werden können.
Unser gesamtes Schulsystem zeigt sich äußerst fragmentiert und objektlastig zu sein. Auch das Fach Biologie wühlt hauptsächlich im Strukturbereich herum, Ein wirklich dynamisches Modell existiert noch kaum und auch unsere Ängste und Bewertungen umfassen nur die Möglichkeit auf momentane Strukturen zu reagieren. Die Möglichkeit die im Ping-Pong Spiel aber auch in der Musik genutzt wird aus dem „Stream“ heraus zu agieren und mit weniger Einsatz die Phasensteuerung zu übernehmen und teilweise Phasenführend zu werden wird noch kaum angewendet. Aber gerade da scheinen mir die Möglichkeiten besonders höffig und interessant zu sein.
Das Problem an einer Phasenschulter kleine Energien gezielt und phasengerecht einzusetzen um innerhalb weniger Zyklen die Phasen zu schieben und damit Dämpfungs- oder Aufsteilungseffekte in Bewegungsmustern oder Reaktionssystemen zu erzielen scheint im raumzeitlichen Kontext auf fast allen Gebieten einsetzbar zu sein um die Energie mit besserem Wirkungsgrad nutzen zu können. Vielleicht wäre dies auch der Punkt von den dynamischen Eigenschaften des Wassers aus gesehen direkt die Analyse von dynamischen Systemen anzupacken. In der Medizin sind bereits heute solche Methoden (z.B. Hyperthermie) in Entwicklung. Ich weiß nicht ob auf Dauer der pädagogische Einsatz von dimensionslosen Massepunkten in der theoretischen Mechanik vonnöten ist anstatt direkt mit einem dynamischen Wassermodell mit seinen drei dissipativen Eigenschaften an Phasengrenzflächen zu operieren, Gradienten und Transporte zu beschreiben, Reaktionen abzuschätzen und in größter Allgemeinheit die natürliche dissipative Energetik abzubilden. Was aber vor Allem wichtig wäre ist Systeme nicht vorrangig als Objekte zu sehen sondern ihre Interaktion als das wesentliche zu sehen.
Verzeihe, war ja nur ein Gedanke. Trotzdem meine ich, dass wir auch in der Wissenschaft gut bedient wären von voll dynamischen Denkmodellen auszugehen und Raum, Zeit und Interaktion von Anfang an begreifen zu lernen ohne den statischen Modellen zuerst in zweiter Instanz das Gehen beibringen zu müssen. Die Naturwissenschaften würden, glaube ich, dadurch sehr an Transparenz gewinnen. Unser Naturverständnis würde sich dahingehend verändern, dass wir z.B. ohne Schadstoffe, Schmutz und Abfall in unserem Sprachgebrauch auskommen könnten.
Du siehst wie sehr ich mich von Deinem Blog anregen ließ. Ich bin heute soweit, dass ich in Deinem Anregungswässerchen schwimme, scheinbar beliebig aber trotzdem in Mustern die aus unserem Diskurs entstehen, ähnlich wie dies in unserem Ping Pong Spiel der Fall ist. Auch ich wünsche Euch Gesundheit, Zufriedenheit und Erfolg. Es grüßt Dich und Deine Familie herzlich
Willy