Dienstag, 6. August 2013
Die Organismierung der Menschheit
Lieber Willy, Waidhofen/Y, 6.8.2013
nun sind schon fast zwei Jahre seit unserem letzten „Ping-Pong“ vergangen, zwei Jahre, in denen sich sehr viel getan hat. Es hat mir unerhört gut getan, Dich wieder zu sehen. Vielen Dank an dieser Stelle an Dich und Deine Frau für die Gastfreundschaft in Eurem neuen Domizil in Haag!
Besonders schön war es, dass unsere Diskussionen eigentlich ohne Bruch wieder aufgenommen werden konnten. Trotz der langen Zeit zwischen unseren Treffen sind unsere Gedanken nicht auseinander gedriftet, sondern vielleicht noch fokussierter geworden. Unsere Treffen haben mich dazu gebracht, kurz in unsere zukunftspost zu sehen und einmal Revue passieren zu lassen, wie sich unsere Diskussion bis heute entwickelt hat. Dabei habe ich festgestellt, dass wir eigentlich die wesentlichen Fragestellungen der Entstehung unserer Realität und der Evolution schon ziemlich weit vorangetrieben und ein insgesamt stimmiges Bild entworfen haben. Wir haben ja eigentlich auch schon beschlossen, uns den Folgerungen unseres Bildes der Realität und der Evolution für die Entwicklung der Gesellschaft zu widmen, ein Vorhaben, dass in unserer Situation am Anfang einer globalen Wendezeit sicher notwendig ist. Ein bisschen haben wir in dieser Hinsicht natürlich schon vorgearbeitet, in dem wir uns mit Grundzügen von Wirtschaft und Politik auseinander gesetzt haben. Jetzt sollten wir einen neuen Anlauf nehmen, uns nicht mehr und nicht weniger vornehmen als das intellektuelle Fundament einer neuen Zeit, eben der Zukunft, der unsere Post gewidmet ist, zu legen. Natürlich nehme ich den Mund wieder ganz schon voll und ich weiß natürlich, dass ich, selbst mit Deiner gewaltigen Hilfe, das nicht schaffen werde. Aber wenn niemand die erste Skizze für ein Gebäude zeichnet, wird es nicht entstehen. Also muss irgendwer anfangen, warum sollen das nicht wir zwei sein? Selbst wenn der Bau dann ganz anders aussieht, als wir uns das ausgedacht haben, so haben wir es eben versucht. Besser intellektuell mit der Entwicklung ringen und scheitern, als nur „Kronen Zeitung“ zu lesen und alles geschehen zu lassen! Mut kann man sich nicht kaufen!
Nach dem ich mir, wie der kleine pfeifende Junge im Wald, genug Mut gemacht habe, hole ich ganz tief Luft und gebe der Zukunft ihren Namen: Das „Zeitalter der Organismierung der Menschheit“.
Eigentlich hat mich die Diskussion mit Dir letzte Woche bei dem schönen Mostheurigen auf diese Bezeichnung gebracht. Du hast davon gesprochen, dass wir in einer Wendezeit leben, in der die Menschheit aus ihrer Vorpubertät in die Pubertät tritt. Ähnliches hat schon Ken Wilber in seinem Buch „Halbzeit der Evolution“ behauptet. Ich finde das Bild vom Eintritt in die Pubertät aus vielen Gründen passend. Einerseits schließt die Pubertät das Wachstum ab, ein Vorgang, der ja auch auf die Menschheit in naher Zukunft zutrifft, sowohl was die Anzahl der Menschen als auch ihren Ressourcenverbrauch betrifft. Andererseits ist dies die Zeit, in der Menschen sich ihrer Beziehung zur Gesellschaft im Allgemeinen und dem anderen Geschlecht im Besonderen bewusst werden. Sie werden sich selber als Teil des Gesamten bewusst. Auch hier sehe ich eine Parallele zur derzeitigen Situation der Menschheit: Wir werden uns zunehmend unserer globalen Abhängigkeit voneinander bewusst, ebenso wie unserer intrinsischen Verbundenheit mit der Natur.
Als Menschheit haben wir uns in wunderbarer Weise an die Beschreibung Teilhard de Chardin’s gehalten: In wenigen Millionen Jahren, in einem Augenblick der Geschichte unseres Planeten, haben wir unsere Spezies globalisiert. Die Welle der Ausbreitung der Menschheit, die gepaart mit einem exponentiellem Wachstum der Aneignung der Natur durch uns Menschen war, ist einmal um den Erdball gelaufen und trifft nun auf sich selbst. Das ist der Startpunkt dieser neuen Ära, Zeit für uns unsere Spezies-Kindheit abzulegen und in die Pubertät einzutreten.
Wie aber komme ich dazu, dieser neuen Ära unter das Motto „Organismierung der Menschheit“ zu setzen. Nun, auch dazu haben mich unsere jüngsten Diskussionen gebracht. Dazu möchte ich aber kurz Themen, die wir in der zukunftspost bereits behandelt haben, ins Gedächtnis zurück rufen und in diesen neuen Kontext stellen.
Wir haben ganz am Anfang bereits Endlichkeit als den Ausgangspunkt der Realität festgelegt. Vielleicht kommen wir ja im Laufe der zukunftspost noch auf die theologischen Folgerungen daraus zurück, die wir ja bei dem Mostheurigen auch diskutiert haben. Wesentlich aber ist, dass Endlichkeit immer bedeutet, dass es etwas Anderes gibt. Die Existenz, auch unsere eigene, ist ohne das andere nicht möglich. Es gibt uns nur, weil es das Andere gibt. Der Grund dafür ist, dass Existenz ja auf Wahrnehmung aufbaut. Nehme ich nichts mehr war, so bin ich auch nicht mehr. Wahrnehmung ist aber eine bestimmte Form von Wechselwirkung, und Wechselwirkung ist nur mit „dem Anderen“ möglich. Existenz, unsere ganze Realität, ist daher nichts anderes als ein Netzwerk von Wechselwirkungen. Diese Wechselwirkungen ihrerseits strukturieren unsere Realität, sie „erzeugen“ Raum und Zeit und alle anderen Strukturen unserer Realität, Alles ist nichts anderes als ein Konstrukt dieser Wechselwirkungen. Endlichkeit (also die Trennung von einem umfassenden Ganzen) schafft daher Wechselwirkung schafft daher Realität. Auch hier ließe sich trefflich theologisch einhaken, was wir aber auch auf später verschieben wollen.
Aber diese Wechselwirkungen haben ihre eigene Gesetzmäßigkeit, diese Gesetzmäßigkeit ist die Selbstorganisation unserer Realität. Evolution ist kein Zufall, sie ist unserer Realität zu Grunde gelegt. Damit ist auch Leben keineswegs etwas zufällig entstandenes, sondern eine Eigenschaft dieser Realität. Materie kann gar nicht anders, sie muss zum Leben führen!
All das haben wir in der einen oder anderen Form in unserem Diskurs schon abgehandelt, es ist auch gar nicht so neu. Ähnlich haben schon Varela und Maturana, die beiden chilenischen Wissenschaftler, die so viel zum Verständnis von Selbstorganisation beigetragen haben, argumentiert. „Wir erschaffen die Realität und das Leben dadurch dass wir leben“ ist einer ihrer Kernsätze, er stimmt genau mit dieser Sicht der Realität, die wir diskutiert haben, überein.
Was wir aber weiter diskutiert haben, dort beim Mostheurigen, weist aber darüber hinaus. Wir haben uns diesen Vorgang der Selbstorganisation näher vorgenommen und ihn auf seine Elemente hin analysiert. In Deinen Abhandlungen hast Du ja schon immer auf die zentrale Rolle des Wassers für unsere Lebensform hier auf der Erde hingewiesen. Wasser für sich hat bereits wichtige Eigenschaften aus der Sicht der Selbstorganisation, es kann sich selbst strukturieren, von den Wasserclustern bis hin zu den zu den Rollzellen bei starkem (Wärme-) Energiefluss durch Wasser. Worauf du aber ganz besonders hinweist (und das auch in vergangenen Abschnitten unserer zukunftspost ausgeführt hast) ist Dissoziation des Wassers, die sich im pH Wert ausdrückt: Wasser ist daher zu jedem Augenblick ein reagierendes System, es stabilisiert ein dynamisches Gleichgewicht einer Radikalreaktion. Damit haben wir ein Element, das offensichtlich für Selbstorganisation und „Leben“ notwendig ist: Ein System, das zumindest soweit in sich selbst strukturiert ist, dass es „schwingt“ (also dynamische Reaktionen auf Pulse zeigt) und Austauschvorgänge zwischen seinen Teilen zulässt und reaktive Komponenten (im Fall von Wasser eben die H+ und OH- Ionen) einbettet und diese Reaktionen stabilisiert.
Wasser für sich schafft aber kein Leben, es kann sich zwar erstaunlich komplex und großräumig strukturieren, aber eben keine organische Verbindung aufbauen. Dazu bedarf es offensichtlich dreier weiterer Komponenten: Diskretisierte (pulsierende) Flüsse wie etwa Lichtwellen, Grenzflächen und strukturfähigen Rezipienten. Die Grenzflächen dienen dabei einerseits der Weitergabe der Pulse (also des Austausches über die Grenzfläche hinweg) und andererseits der Modulierung dieser Schwingungen, die durch die pulsierenden Flüsse ausgelöst werden. Damit können die reaktiven Systeme (im Falle des Wassers eben die Wasserionen) örtlich angeregt werden (was ja in jeder normalen Katalyse auf passiert) und die Reaktion an strukturfähige Rezipienten weitergeben. Im Falle der Entstehung des Lebens sind das eben die Kohlenstoff-Verbindungen, vor allem Kohlendioxid, das durch diesen Vorgang zu Kohlenwasserstoffen umgewandelt wird. Dieser Vorgang stabilisiert sich zu neuen Strukturen, wenn das neue Gesamtsystem (also etwa Wasser und die neu entstandenen Kohlenwasserstoffe) die gepulsten Ströme besser zu „dissipieren“, d.h. zu Strukturen zu führen, die diese Pulse mit kleineren Potentialunterschieden an weitere Rezipienten weitergeben können.
Ich habe in dieser ganzen Argumentation einen Begriff verwendet, den ich hier noch nicht erklärt habe: Struktur. Wir haben natürlich schon viel darüber in der zukunftspost geschrieben aber für die weitere Argumentation und die Unterstützung meiner frechen Namensgebung der Zukunft möchte ich hier noch ein wenig weitergehen in der Diskussion. Strukturen sind nicht fixe, unverrückbare „Dinge“ sondern dynamische Prozesse, die ein System von inneren Strukturen, die für sich wieder dynamische Prozesse sind, verknüpfen. Das wesentliche, was Strukturen aber unterscheidet von anderen Wechselwirkungs-Prozessen (die ja auch dynamisch sind und die auch „Strukturen“ miteinander verbinden) ist, dass diese Wechselbeziehungen in einer Struktur rekursiv sind und sich durch Rückkoppelung stabilisieren. Du hast in unserer Diskussion immer wieder von Kreisprozessen gesprochen: Genau solche Rückkoppelungen sind das Charakteristikum von Strukturen.
* Aus dieser Definition von Strukturen folgen nun eine Reihe von interessanten Eigenschaften, die wir noch für unsere Argumente brauchen werden. Rückkoppelungen unterscheiden die Strukturelemente von den Elementen, die nicht Teil der Struktur sind. Es gibt daher ein Innen und ein Außen für diese dynamischen Prozesse, die wir Strukturen nennen. Strukturen wirken daher für sich strukturierend, sie strukturieren unseren Raum und damit unsere Realität. Sie bilden daher Grenzen zu ihrem „Außen“.
* Strukturen wirken aber auch strukturierend auf jeden Puls-Fluss: Sie nehmen aus dem Puls das, was sie für ihre eigene Stabilisierung durch die rekursiven Prozesse in ihrem Inneren brauchen und dissipieren auf diese Art den Puls in ihre eigene dynamische Stabilität. Diese Aufnahme des Pulses erfolgt über ihre Grenzflächen, die außen von innen trennen.
* Strukturen modulieren daher Pulse und wirken so auf ihre Umgebung verändernd.
* Strukturen können für sich selbst aber auch mit anderen Strukturen in Wechselwirkung treten, wobei diese Wechselwirkungen durch die Art der internen rückgekoppelten Prozesse und nicht durch die Qualität des Pulses, den sie selbst nutzen, bestimmt sind. Damit erlauben Strukturen die Dissipation von Pulsen auf ganz anderen Ebenen (und durch ganz andere Potentiale bestimmt), sie Erhöhen damit wesentlich die Dissipationseffizienz des gesamten Systems und machen damit das System (also die Gesamtheit der Strukturen, die durch den Puls-Fluss betroffen sind) stabiler.
* Strukturen verändern durch ihre Wechselwirkungen mit anderen Strukturen dieses Gesamtsystem, ein Vorgang, den wir üblicherweise als Evolution bezeichnen.
Aus dieser Sicht ist „Leben“ weder etwas unheimlich Zufälliges noch etwas Besonderes: Es ist eine direkte Folge der Realität, es sind Strukturen, die sich nach einem bestimmten Bauplan selbst erzeugen. Dieser Bauplan ändert sich gegenüber der Lebensdauer der einzelnen Struktur nur langsam. Wie der Bauplan stabilisiert wird und sich verändert ist ein Kapitel für sich, das wir später in unserer zukunftspost erörtern sollten.
Innerhalb dieses Phänomens Leben erkennen wir aber einen weiteren Vorgang den ich Organismierung nennen möchte. Er ist nichts anderes als die Vergesellschaftung lebender Strukturen ihre Differenzierung und der Aufbau rekursiver Wechselwirkungen zwischen diesen Strukturen. Dieser Vorgang führt zu einer neuen Struktur (dem Organismus), die sich ebenfalls wieder selbst erzeugen kann und damit stabilisiert. Dieser Vorgang stellt immer einen Quantensprung in der Effizienz der Nutzung des Puls-Flusses dar, da innerhalb eines Organismus nun Rückkoppelung auf ganz unterschiedlichen Ebenen stattfinden kann und damit der einmal aufgeprägte Energiepuls in sehr vielen Kanälen dissipiert werden kann.
Hier will ich diese ziemlich trockene Wiederholung unserer Diskussion einmal abschließen und zu meiner Anfangsthese zurückkehren: Was wir sehen sind erste Anzeichen der Organismierung der Menschheit. Wir sehen einerseits eine starke räumliche Differenzierung und Diskretisierung der menschlichen Gesellschaft. Unsere wachsenden Städte legen davon Zeugnis ab. Gleichzeitig erkennen wir die starke Differenzierung im Sinne der Arbeitsteilung. Zusätzlich dazu ist bereits der Druck von außen zur Effizienzsteigerung unserer Ressourcennutzung klar am Horizont erkennbar.
Noch aber sind unsere Systeme offen, unserer Wechselwirkungen miteinander sind weder systemisch rückgekoppelt noch sind uns deren Auswirkungen wirklich bewusst. Langsam erst dämmert uns unsere Abhängigkeit von einer endlichen Mitwelt und voneinander. Dabei spielen die neuen „Nervenbahnen“ der Neuen Medien und die Demokratisierung des Wissens durch das Internet eine wichtige Rolle. Langsam dämmert uns auch die Notwendigkeit, unsere eigenen Lebensentscheidungen, ob im Konsum oder dem Umgang mit dem „Anderen“ in Gesellschaft und Mitwelt in den Rhythmus eines zusammenhängenden Organismus zu bringen. Das alles weist auf unseren Eintritt in diese Ära der Organismierung der Menschheit hin!
Für heute möchte ich damit Schluss machen, auch weil wir ja über dieses mein „Ping“ persönlich diskutieren können. Die Zukunft unserer zukunftspost sehe ich darin, für diese Ära einige intellektuelle Grundsteine zu legen. Ich freue mich schon auf unsere gemeinsame Arbeit „am Bau“!
Dein Michael
Montag, 10. Oktober 2011
Neue Bildung ist nötig
Lieber Michael,
Zunehmend überstürzende Veränderungen unserer weltwirtschaftlichen Umwelt sowie die sich häufenden Fehlleistungen unserer von der Wirtschaft alimentierten Wissenschaften haben mich zu einer relativ langen Denkpause veranlasst, für die ich mich bei Dir entschuldigen möchte. Diese Denkpause hat mir allerdings ermöglicht meine Perspektiven zu überprüfen und anzupassen.
Danke für Deinen äußerst stimulierenden Blog über „Selbstorganisation, Politik und ein neues Bildungsideal“. Wir begannen unseren Blog damals mit den Betrachtungen über eine sich ankündigende Wendezeit. Jetzt scheint sich der Zeitpunkt für diese gesellschaftliche Wende rasant zu nähern. Eine Analyse des „Treibers“ für diese Entwicklung scheint die stetig wachsende Lüge bezüglich der notwendigen Rolle des Wachstums in unseren Weltgesellschaften zu sein. Die völlige Offenheit und Deckungslosigkeit unserer Geldsysteme nährt die Versuchung eines jeden Spekulanten soviel Geld wie möglich zu schöpfen. Eine Kontrolle der Geldwirtschaft gibt es dann nicht, wenn die Geldmenge zur Beliebigkeit wird und von jeder Spekulation beeinflusst werden kann.
Das sich immer rascher drehende Spekulationskarussell und die immer rascher und von Computern weltweit ermöglichten Transaktionen und Geldflüsse in Millisekunden scheinen unsere Wirtschaftsweisen für die Zukunft in Frage zu stellen.
Ich habe vorgestern vom sich beschleunigenden OOPs (out of paradigma) Erlebnis gelesen (siehe Link) und muss leider der Analyse eines rapide wachsenden chaotischen Zustandes unseres Planeten zustimmen. Der sich rasch entortet und entzeitlicht verändernde Zustand scheint in der Geschichte vom alttestamentlichen Turmbau von Babel bereits vorausgesehen worden zu sein.
An diesem zunehmend chaotischen Zustand scheinen nun auch Politik und Wissenschaft mitzugestalten. Die Tatsache dass sowohl Atmosphäre wie auch Wasserkreisläufe in ihrer räumlichen und zeitlichen Verteilung hauptsächlich durch sich ständig verändernde aber robuste Lebensprozesse moduliert wurden haben erst über die daraus resultierenden Rückkopplungen den Evolutionsprozess angetrieben. Wir zweifeln dies durch primitivste Simulationsmanipulationen an und stellen die Tatsachen auf den Kopf. Eine statische Artenvielfalt sowie die Konstanz von CO2 in der Atmosphäre sind zur Basis für Nachhaltigkeit und damit zur Staatsreligion erklärt worden. Die Politik, bereits ausgestattet mit dem notwendigen Machtmonopol scheint nun auch unter Hinweis auf pseudodemokratische Rituale („political correctness“) das Monopol der Interpretation von Wissenschaft und Dogmatik des ewig wachsenden Wirtschaftsprozessen anzustreben.
Dieses Handeln wird durch unsere Schulbetriebe wie auch in Universitäten weitergelehrt. Rückkopplungen als Treiber der natürlichen Prozesse werden nicht mehr verstanden sondern verteilungsfreie und reduzierte Simulationsmanipulationen werden zur Basis unseres Verständnisses gemacht. Wir werden wohl wie so viele andere vor uns auf den Müllhalden der Geschichte landen. Tragisch ist dabei, dass unsere Jugend durch die Unkenntnis von den dynamischen bzw. biologischen Prozessen als Lebensgrundlage und den daraus folgenden Rückkopplungen intellektuell wegsortiert werden wird.
Was also tun? Ich glaube dass die vom Menschen immer mehr angestrebte Grenzenlosigkeit ohne Rückkopplungen, die daraus resultierende Hybris sowie die Maßlosigkeit und Gier wichtige Analyseobjekte unserer Schulerziehung sowie Bestandteile in Forschung und Lehre sein müssten, da die Überwindung dieser als eine allgemeine Basis einer natürliche Ethik dienen könnten. Eine natürliche Ethik müsste die Regeln für ein dynamisches Zusammenleben unter der Maßgabe einer ständigen und lebenslangen positiven Veränderung (Menschwerdung) des einzelnen Individuums durch seine Zunahme von Erfahrung und Wissen beinhalten. Die wichtigsten Eigenschaften des Menschen entstehen aus der Interaktion bzw. Kommunikation mit einem menschlichen Umfeld und nicht in der heute gelehrten Interaktion mit den Objekten. Der Themenkomplex erfordert ein Umdenken und eine Neubewertung von Bildungssystemen, ihrer Kosten und Strukturen wenn das Bildungsziel nicht in erster Linie die Ausbildung von zertifizierten Komponenten eines Wirtschaftssystems gefragt sind, sondern wertvolle Mitglieder einer integrierten Gesellschaft bestehend aus allen Generationen und allen Mitgliedern mit Migrationshintergrund. Das Bildungsziel könnte nach der Grundschule und dem Erlernen von den Grundkenntnissen durch frühe Integration in gesellschaftliche Strukturen wie Verwaltung, handwerkliche Berufe, landwirtschaftliche Aktivitäten, technische, wissenschaftliche und soziale Berufe sowie in entsprechenden Weiterbildungsmaßnahmen erfolgen. Die Schulpflicht könnte dann durch einen von der Gesellschaft getragene Bildungs- und Ausbildungsauftrag ersetzt werden. Wobei die Zertifizierungselemente neu überdacht und anders gestaltet werden sollten. Die hohen Kosten des Bildungssystems könnten durch integrierte Bildungsgruppen und Leistungsvergütungen von den Kommunen für Lehrende und Schüler mit Mindestsätzen erheblich gesenkt werden. Der Kenntnishintergrund ist heute einfach und billig durch das Internet zugänglich.
Mir ist natürlich völlig bewusst, dass solche Änderungen erst das Resultat von Versuchen bei positivem Ausgang sein können. Wie komme ich den eigentlich dazu mir darüber den Kopf zu zerbrechen? Ausgangspunkt für die Überlegungen war für mich ein Gutachten mit dem Titel „Welt im Wandel – Gesellschaftsvertrag für eine große Transformation“ vom wissenschaftliche Beirat der (deutschen) Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU). Bei der Lesung dieser Lektüre wurde mir klar, dass eine solche grundlegende geplante Transformation höchst unwahrscheinlich und unbezahlbar wird wenn sie, wie beschrieben, unter den gegebenen Rahmenbedingungen erfolgen sollte. Die erarbeitete Vorgehensweise läuft dabei völlig konträr zu einem natürlichen evolutionären Prozess indem dogmatische Forderung nach heutigen und globalen wissenschaftlichen Kriterien erarbeitet werden und nicht, wie in der Natur vorgesehen kleinste, lokale Lösungskorridore sich unter den gegebenen energetischem Umfeld zu größeren Strukturen vergesellschaften und diese sich im kompetitiven Umfeld als nachhaltiger wachsend erweisen als die Übrigen, die dabei zwangsläufig schrumpfen müssen. Solche kleinen Lösungen werden aus den Rückkopplungen einer sich auflösenden Struktur gezeugt („und neues Leben sprießt aus den Ruinen“). Ich würde annehmen dass es sich bei den Ruinen um die unseres Wirtschaftssystems handelt. Ich glaube auch, dass die Effizienz nur orts- und zeiteingebunden bestimmbar wäre und der evolutionäre Prozess daher nicht simulierbar ist. Ich habe mit Ende des zweiten Weltkriegs als Kind die Wiedergeburt des Wirtschaftswachstums hautnah erlebt. Das heutige Wirtschaftssystem, mag zwar etwas besser an die Gier der Menschen angepasst gewesen sein als die sozialistische Variante. Beide scheinen mir jedoch gleichermaßen zunehmend über die Insolvenz zu verschwinden. Der neue wissenschaftlich fundierte Gesellschaftsvertrag der WBGU op.cit. scheint mir geeignet um diesen Prozess der Erosion eher noch zu beschleunigen.
Ich freue mich schon wenn Du mich besuchen kommst. Beste Grüße Dir und Deiner Familie von Willy
Link: http://sd.defra.gov.uk/2011/09/oops-solving-global-problems-in-complex-systems/
Zunehmend überstürzende Veränderungen unserer weltwirtschaftlichen Umwelt sowie die sich häufenden Fehlleistungen unserer von der Wirtschaft alimentierten Wissenschaften haben mich zu einer relativ langen Denkpause veranlasst, für die ich mich bei Dir entschuldigen möchte. Diese Denkpause hat mir allerdings ermöglicht meine Perspektiven zu überprüfen und anzupassen.
Danke für Deinen äußerst stimulierenden Blog über „Selbstorganisation, Politik und ein neues Bildungsideal“. Wir begannen unseren Blog damals mit den Betrachtungen über eine sich ankündigende Wendezeit. Jetzt scheint sich der Zeitpunkt für diese gesellschaftliche Wende rasant zu nähern. Eine Analyse des „Treibers“ für diese Entwicklung scheint die stetig wachsende Lüge bezüglich der notwendigen Rolle des Wachstums in unseren Weltgesellschaften zu sein. Die völlige Offenheit und Deckungslosigkeit unserer Geldsysteme nährt die Versuchung eines jeden Spekulanten soviel Geld wie möglich zu schöpfen. Eine Kontrolle der Geldwirtschaft gibt es dann nicht, wenn die Geldmenge zur Beliebigkeit wird und von jeder Spekulation beeinflusst werden kann.
Das sich immer rascher drehende Spekulationskarussell und die immer rascher und von Computern weltweit ermöglichten Transaktionen und Geldflüsse in Millisekunden scheinen unsere Wirtschaftsweisen für die Zukunft in Frage zu stellen.
Ich habe vorgestern vom sich beschleunigenden OOPs (out of paradigma) Erlebnis gelesen (siehe Link) und muss leider der Analyse eines rapide wachsenden chaotischen Zustandes unseres Planeten zustimmen. Der sich rasch entortet und entzeitlicht verändernde Zustand scheint in der Geschichte vom alttestamentlichen Turmbau von Babel bereits vorausgesehen worden zu sein.
An diesem zunehmend chaotischen Zustand scheinen nun auch Politik und Wissenschaft mitzugestalten. Die Tatsache dass sowohl Atmosphäre wie auch Wasserkreisläufe in ihrer räumlichen und zeitlichen Verteilung hauptsächlich durch sich ständig verändernde aber robuste Lebensprozesse moduliert wurden haben erst über die daraus resultierenden Rückkopplungen den Evolutionsprozess angetrieben. Wir zweifeln dies durch primitivste Simulationsmanipulationen an und stellen die Tatsachen auf den Kopf. Eine statische Artenvielfalt sowie die Konstanz von CO2 in der Atmosphäre sind zur Basis für Nachhaltigkeit und damit zur Staatsreligion erklärt worden. Die Politik, bereits ausgestattet mit dem notwendigen Machtmonopol scheint nun auch unter Hinweis auf pseudodemokratische Rituale („political correctness“) das Monopol der Interpretation von Wissenschaft und Dogmatik des ewig wachsenden Wirtschaftsprozessen anzustreben.
Dieses Handeln wird durch unsere Schulbetriebe wie auch in Universitäten weitergelehrt. Rückkopplungen als Treiber der natürlichen Prozesse werden nicht mehr verstanden sondern verteilungsfreie und reduzierte Simulationsmanipulationen werden zur Basis unseres Verständnisses gemacht. Wir werden wohl wie so viele andere vor uns auf den Müllhalden der Geschichte landen. Tragisch ist dabei, dass unsere Jugend durch die Unkenntnis von den dynamischen bzw. biologischen Prozessen als Lebensgrundlage und den daraus folgenden Rückkopplungen intellektuell wegsortiert werden wird.
Was also tun? Ich glaube dass die vom Menschen immer mehr angestrebte Grenzenlosigkeit ohne Rückkopplungen, die daraus resultierende Hybris sowie die Maßlosigkeit und Gier wichtige Analyseobjekte unserer Schulerziehung sowie Bestandteile in Forschung und Lehre sein müssten, da die Überwindung dieser als eine allgemeine Basis einer natürliche Ethik dienen könnten. Eine natürliche Ethik müsste die Regeln für ein dynamisches Zusammenleben unter der Maßgabe einer ständigen und lebenslangen positiven Veränderung (Menschwerdung) des einzelnen Individuums durch seine Zunahme von Erfahrung und Wissen beinhalten. Die wichtigsten Eigenschaften des Menschen entstehen aus der Interaktion bzw. Kommunikation mit einem menschlichen Umfeld und nicht in der heute gelehrten Interaktion mit den Objekten. Der Themenkomplex erfordert ein Umdenken und eine Neubewertung von Bildungssystemen, ihrer Kosten und Strukturen wenn das Bildungsziel nicht in erster Linie die Ausbildung von zertifizierten Komponenten eines Wirtschaftssystems gefragt sind, sondern wertvolle Mitglieder einer integrierten Gesellschaft bestehend aus allen Generationen und allen Mitgliedern mit Migrationshintergrund. Das Bildungsziel könnte nach der Grundschule und dem Erlernen von den Grundkenntnissen durch frühe Integration in gesellschaftliche Strukturen wie Verwaltung, handwerkliche Berufe, landwirtschaftliche Aktivitäten, technische, wissenschaftliche und soziale Berufe sowie in entsprechenden Weiterbildungsmaßnahmen erfolgen. Die Schulpflicht könnte dann durch einen von der Gesellschaft getragene Bildungs- und Ausbildungsauftrag ersetzt werden. Wobei die Zertifizierungselemente neu überdacht und anders gestaltet werden sollten. Die hohen Kosten des Bildungssystems könnten durch integrierte Bildungsgruppen und Leistungsvergütungen von den Kommunen für Lehrende und Schüler mit Mindestsätzen erheblich gesenkt werden. Der Kenntnishintergrund ist heute einfach und billig durch das Internet zugänglich.
Mir ist natürlich völlig bewusst, dass solche Änderungen erst das Resultat von Versuchen bei positivem Ausgang sein können. Wie komme ich den eigentlich dazu mir darüber den Kopf zu zerbrechen? Ausgangspunkt für die Überlegungen war für mich ein Gutachten mit dem Titel „Welt im Wandel – Gesellschaftsvertrag für eine große Transformation“ vom wissenschaftliche Beirat der (deutschen) Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU). Bei der Lesung dieser Lektüre wurde mir klar, dass eine solche grundlegende geplante Transformation höchst unwahrscheinlich und unbezahlbar wird wenn sie, wie beschrieben, unter den gegebenen Rahmenbedingungen erfolgen sollte. Die erarbeitete Vorgehensweise läuft dabei völlig konträr zu einem natürlichen evolutionären Prozess indem dogmatische Forderung nach heutigen und globalen wissenschaftlichen Kriterien erarbeitet werden und nicht, wie in der Natur vorgesehen kleinste, lokale Lösungskorridore sich unter den gegebenen energetischem Umfeld zu größeren Strukturen vergesellschaften und diese sich im kompetitiven Umfeld als nachhaltiger wachsend erweisen als die Übrigen, die dabei zwangsläufig schrumpfen müssen. Solche kleinen Lösungen werden aus den Rückkopplungen einer sich auflösenden Struktur gezeugt („und neues Leben sprießt aus den Ruinen“). Ich würde annehmen dass es sich bei den Ruinen um die unseres Wirtschaftssystems handelt. Ich glaube auch, dass die Effizienz nur orts- und zeiteingebunden bestimmbar wäre und der evolutionäre Prozess daher nicht simulierbar ist. Ich habe mit Ende des zweiten Weltkriegs als Kind die Wiedergeburt des Wirtschaftswachstums hautnah erlebt. Das heutige Wirtschaftssystem, mag zwar etwas besser an die Gier der Menschen angepasst gewesen sein als die sozialistische Variante. Beide scheinen mir jedoch gleichermaßen zunehmend über die Insolvenz zu verschwinden. Der neue wissenschaftlich fundierte Gesellschaftsvertrag der WBGU op.cit. scheint mir geeignet um diesen Prozess der Erosion eher noch zu beschleunigen.
Ich freue mich schon wenn Du mich besuchen kommst. Beste Grüße Dir und Deiner Familie von Willy
Link: http://sd.defra.gov.uk/2011/09/oops-solving-global-problems-in-complex-systems/
Freitag, 27. Mai 2011
Selbstorganisation, Politik und ein neues Bildungsideal
Lieber Willy,
vielen Dank für Deine letzte zukunftspost! Ich habe mir wieder einmal viel zu lange Zeit gelassen, sie zu beantworten. In der Zwischenzeit sind aber einige Ereignisse geschehen, die auch für unser Ping-Pong Spiel von einiger Bedeutung sind und die ich daher auch als Ausgangspunkt für meinen heutigen Beitrag nehmen möchte: Die Atomkatastrophe von Fukoshima und die Revolte in den arabischen Ländern. Beide Ereignisse bestätigen aus meiner Sicht unsere Analyse der Wendezeit und sie zeigen, dass die Zukunft beginnt.
Das erste Ereignis, die Katastrophe von Fukoshima, ist schnell abgehandelt, wenn auch seine Wirkung für Generationen zu spüren sein wird. Du hast in Deiner letzten zukunftspost ja schon von der Hybris unserer Gesellschaft gesprochen, und auch von der Beschränkung unseres „objektiven Wissens“ mit „Universalanspruch“. Diese Katastrophe ist die furchtbare Bestätigung beider Aussagen! Eine Gesellschaft, die für sich in Anspruch nimmt, „alles im Griff“ zu haben wurde durch einen Rülpser der Natur in schrecklichem Maße auf die Lächerlichkeit dieses Anspruches aufmerksam gemacht. Was mich dabei bedenklich stimmt ist nicht das Faktum an sich. Es war für jeden von uns klar, dass eine solche Katastrophe eintreten wird. Was mich viel mehr stört, ist die oberflächliche Analyse dieses Menetekels: Das kann ja nur in Japan passieren, und auch nur durch ein Erdbeben der Mamutkategorie. Natürlich ist das weit gefehlt. Die Katastrophe wurde ja primär durch die Überschwemmung nach dem Tsunami ausgelöst. Wenn man bedenkt, dass fast alle Kernkraftwerke entlang großer Flüsse liegen (sie brauchen ja das Kühlwasser, sie sind ja sehr ineffiziente Anlagen, die viel ihrer gefährlich gewonnenen Energie nutzlos in die Atmosphäre blasen bzw. Flüsse unnötig aufheizen). Wenn man weiters bedenkt, dass die Überschwemmungskatastrophen immer häufiger und stärker werden, weil wir eben mit unserem Klima gerade ein gigantisches Einmal-Experiment durchführen, dann ärgert man sich eben über so viel nuklearen Zweckoptimismus.
Natürlich könnte wir es uns einfach machen und nun mit dem erhobenen Zeigefinger und dem moralinsauren Gesicht einer rechthaberischen Kasandra herumlaufen und die Vorzüge nachhaltigen Wirtschaftens erneut verkünden. Schließlich kann man gerade uns beiden ja wirklich nicht vorwerfen, nicht schon lange und eindringlich auf die Gefahren nuklearer Energie, aber auch des Fossilwahnsinns hingewiesen zu haben. Das ist aber einerseits fad und andererseits würde es nur den viel wichtigeren Aspekt verdecken, den diese Katastrophe aufzeigt: Das wesentliche Defizit in der Wissensbasis, die derzeit noch in Wirtschaft und Politik den Entscheidungen zu Grunde liegt: Unsere reduktionistische, lineare und disziplinäre Wissenschaft, die ihre existentielle Unsicherheit mit dogmatischem Universalitätsanspruch zu überdecken sucht. Und damit schließe ich unmittelbar an unseren Bildungsdiskurs an!
Die Katastrophe von Fukoshima zeigt für mich ganz deutlich den Zusammenhang zwischen einer bestimmten Art der Bildung, einer bestimmten Art die Welt zu sehen und einer bestimmten Art der Organisation unserer Gesellschaft auf. Du hast ja schon darauf in Deiner letzten zukunftspost hingewiesen: Unsere AUSbildung ist objektbezogen, linear, zersplittert und vom Glauben beseelt, das Richtige und Wahre zu vermitteln. Sie führt daher zur EINbildung, dass wir Menschen eben alles können, alles im Griff haben und wo dies noch nicht der Fall ist, es „in den nächsten Jahren“ zu wissen. Dabei gehen wir immer davon aus, dass dieses neue Wissen eben zusätzliches Wissen ist, Wissen, das nicht das alte Wissen in Frage stellt, sondern stützt und erweitert. IUch finde es immer interessant, wie sich unsere „Wissenden“ über Wissen aus der Antike, des Mittelalters oder auch nur anderer Disziplinen lustig machen und darüber ganz vergessen, dass auch ihr Wissen bald zum alten Eisen gehören wird und dass sich andere in ein paar Jahren über den Blödsinn, der heute unsere „unverrückbare Wissensbasis“ darstellt ebenso lustig machen werden. Wissen ist eben relativ, relativ zur Zeit, relativ zum Kontext. „Der Mensch irrt so lang er strebt“ sagt Goethe, und er meint das nicht böse, ganz im Gegenteil: Er will darauf hinweisen, dass es nicht die Aufgabe des Menschen ist, alles zu wissen und zu planen, sondern eben zu „streben“, und das in einer Umgebung der Unsicherheit, des „Nicht-Wissens“, des Risikos und der mutigen Entscheidung. Wer dies außer Acht lässt und im vermeintlichen „göttlichen“ Besitz der letzten Sicherheit Entscheidungen trifft, die Jahrtausende (gefährlich) wirken, mit unabsehbaren Risiken für weite Landstriche und viele Menschen ist eben dumm. Das Problem ist nun, dass wir mit unserem Bildungssystem genau solche dummen Menschen bevorzugt heranzüchten, einerseits weil wir objektbezogenes (und daher per definitionem relatives und kurzlebiges) Wissen vermitteln, wie Du richtig festgestellt hast. Andererseits bieten wir dieses Wissen nur in engen disziplinären „Tunnels“ an, jeder für sich mit seinen ganz eigenen Annahmen, Vereinfachungen und uneingestandenen normativen Agenden. Du hast ja bereits vom störungsfreien Hilbertraum gesprochen, unsere Disziplinen sind das natürlich auch, wie jedes andere selbstorganisierte Gebilde. Sie schotten sich ab gegen das „Andere“, die andere Disziplin und nicht selten das „Andere“ in der Form der Realität. Bei soviel Tunnelblick ist es nicht erstaunlich, dass uns der Blick auf das Ganze verstellt ist!
Unsere Politiker sind natürlich auch Produkte dieses Bildungssystems. Sie sind ja nicht von Haus aus böse, ganz im Gegenteil, sie wollen meist durchaus Gutes. Das Problem vor dem sie stehen ist aber, dass sie in einer Gesellschaft, die auf dem Glauben an das absolute Wissen aufbaut, nicht unrecht haben dürfen. Unrecht zu haben, zu irren, wird ja als Makel, als unverzeihlicher Fehler angesehen. Und damit wird leider Goethes Spruch „von hinten“ wahr: Wer nicht irrt, der strebt auch nicht!
Das bedeutet jetzt natürlich nicht, dass Politiker nichts tun. Du hast ja ganz richtig auf die Berge hingewiesen, die heute abgetragen wären, hätte man die gute mosaische Praxis weiter gepflegt, Gesetze auf Steintafeln aufzuzeichnen (übrigens ein amüsanter Gedanke, man könnte sie dann ja ganz toll rezyklieren, ein Gefängnis mit unbrauchbaren Strafgesetzen bauen, Straßen mit aus der Mode gekommenen Verkehrsverordnungen! Schließlich würde auch der hochangesehene Stand der Advokaten plötzlich zu einem wirklich schwer arbeitenden Beruf…). Es ist daher nicht das Nichtstun, das den Gegensatz zum Streben darstellt. Es ist die Ablehnung von Verantwortung, der Ersatz von Verantwortung durch den Rekurs auf „Wissen“, auf Experten. Und damit sind wir wieder zurück in Fukoshima, bei den Politikern in ihren lächerlichen blauen Overalls, die sich als erste Arbeiter des Staates generieren wollten und sich in jedem Wort auf ihre Experten bezogen haben, die ja an allem „Schuld“ waren. Wir beklagen ja so oft die Kurzsichtigkeit der politischen Elite. Es ist die Kurzsichtigkeit und das eingeschränkte „Gesichtsfeld“ unserer Wissenschaft und Bildung, die diese Situation erzeugen! Hier in Österreich gibt es ja einen besonders faschistischen Satz in der Werbung: Geht’s der Wirtschaft gut, geht’s uns allen gut. Das ist natürlich Blödsinn, aber man könnte ihn etwas umformulieren: Geht’s der Bildung gut, geht’s uns allen gut. Bildung ist nun einmal das Fundament der Gesellschaft, die auf einem unzeitgemäßen Fundament aufbaut, auf einem unzeitgemäßen Bild des Wissens und der Realität, dann beginnt die Gesellschaft zu kranken. Fukoshima zeigt uns diesen Zusammenhang zwischen Politik und Bildung sehr eindeutig, wir leben am Ende einer Gesellschaft, die vom engen „Wissen“ einer schmalen, dummen und überheblichen Technokratenschicht, verblendet vom Glauben an die Absolutheit ihres lächerlichen Wissens, über den Umweg einer hilflosen, getriebenen und vom selben Wissensglauben beseelten Politikerkaste verwaltet wird.
Nun zum zweiten Ereignis, der Revolte im arabischen Raum, die jetzt (auf dem Weg aller wichtigen Umwälzungen im Abendland) über Spanien ihren Weg nach Europa und von dort in die ganze Welt sucht. Ich glaube, dass dies der Beginn des Anfangs des Neuen ist!
Zwei Elemente aus den vielen, die diese Revolte so außergewöhnlich machen, möchte ich herausgreifen. Das eine ist das offensichtliche Systemversagen der politischen Kaste in diesen Ländern. Natürlich sind diese Länder korrupter als unsere, natürlich sind die politischen Systeme, die da vom Podest gestoßen werden, repressiver als unsere. Aber die generellen Probleme sind dieselben. Die Politik kann die essentiellen Bedürfnisse der Menschen nicht mehr befriedigen, die alte technokratische und paternalistische Art der Gesellschaftsorganisation ist handlungsunfähig, nicht zuletzt auch dadurch, dass ihre Wissensbasis durch ihre Zersplitterung nicht widerspruchsfrei ist, die Technokratenbagage daher in sich uneins und die Politiker hilfloser denn je sind. Diese Grundvoraussetzungen sind bei uns nicht anders als in Nordafrika, der existentielle Druck ist aber dort natürlich unvergleichlich höher.
In dieser Situation passiert etwas ganz interessantes, mein zweites Element: Die gebildete Jugend steht auf und sie nutzt zum ersten Mal in der politischen Auseinandersetzung die Selbstorganisationskraft des Internet! Damit kommen einige ganz neue Aspekte ins Spiel. Als erstes kann plötzlich nicht mehr der Blick aufs Ganze verstellt werden, es gelingt niemandem mehr, die Information zu beherrschen, den Blick der Gesellschaft abzulenken vom großen umfassenden Versagen. Dem Machtapparat geht die Macht über sein wichtigste Instrument verloren: Die Sichtweise der Bürger, die Problemerkenntnis der Menschen, die Wünsche und Sehnsüchte jedes Einzelnen. Das lässt hoffen, das selbst Medienzaren wie Berlusconi und die unsägliche Familie Dichant nicht mehr das Machtmonopol in ihren jeweiligen Ländern ausüben können.
Ein zweiter Aspekt ist ebenso wichtig: Die Revolution wird von einzelnen, handelnden („strebenden“) Menschen betrieben. Diese Menschen haben ein Ziel: Ihr Schicksal in die eigene Hand zu nehmen. Was für ein Bild! Eine auf der Sicherheit des Wissens, der Verantwortungslosigkeit des Rekurses auf Berater/Experten aufgebaute Machtmaschinerie trifft auf eine selbstbewusste und Verantwortung übernehmende Schicht junger Menschen ohne Macht und wird entweder hinweggefegt oder in einen blutigen Endkampf verwickelt! Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die Macht bestehender Organisationen sehr relativiert wurde. Es sind ganz neue Akteure, die hier agieren.
Natürlich wissen wir nicht, wohin die Revolution führen wird und wie das politische System aussieht, das nun an Stelle des Alten tritt. Erstaunlich für mich waren aber die Bilder und Informationen, die die Selbstorganisationskraft dieser Bewegung gezeigt haben. Bürger, die Straßen und Plätze reinigen in Ägypten, Bürgerkomitees für Gesundheit und Versorgung in Libyen und schließlich auch die unerhörte Zähigkeit, mit der sich Menschen im Jemen und vor allem in Syrieneiner brutalen Staatsmacht über lange Zeit schon entgegensetzen.
Ich will die Revolution in Nordafrika und ihre ersten Ausläufer nach Spanien, ebenso wie die Machtdemonstration des Volkes in Deutschland gegen die Atomenergie (die für mich ganz ähnliche Züge wie die Umwälzungen im arabischen Raum trägt!) nicht romantisieren und auch nicht künstlich hochspielen. Sie sind, wie ich schon geschrieben habe, Beginne von Anfängen. Sie machen aber klar, dass die politische Ordnung der menschlichen Gesellschaft an einem Wendepunkt angekommen ist. Dieser Wendepunkt ist der vom Wissen und Planen zum Verantworten und Tun. Und für diese Wende müssen wir unser Bildungssystem nun umgestalten.
Ich habe in meiner letzten zukunftspost dazu einige Gedanken geschrieben und Du hast das noch wesentlich ergänzt. Wir brauchen die Kulturtechniken, die Analysetechniken, das Einordnungswissen und die dauernde kreative Herausforderung und wir müssen uns, so wie Du es klar erkannt hast, vom Objektwissen wegbewegen und zu einem Prozess- und Interaktionswissen kommen. Ganz besonders stimme ich mit Dir überein, dass wir uns vom „Idealwissen“ zum Erfassen des Ganzen bewegen müssen. Um mit Barbara Frischmuth zu sprechen: Die Komplexität ist dem Menschen zumutbar! Es hat wirklich wenig Sinn durch „ideale“ Systeme (etwa die von Dir zitierten „Punktmassen“, die es eben nicht gibt) in die Bildung zuerst die Tunnel der disziplinären Enge zu graben, um dann mühsam das Zusammenwirken aus dem Stückwerk zu erklären. Viel besser wäre es hier die (wenigen) Grundregeln des Zusammenwirkens, der Rückkoppelung und Selbstorganisation zu vermitteln und dann erst in das Spezielle, Disziplinäre einzutauchen. Es geht darum, die Grundlagen eines holistischen Realitätsverständnisses zu legen und gleich gar nicht erst bei den Disziplinen zu beginnen.
Wir haben ja schon so einiges gesagt über das „Wie“ , auch das „Warum“ der Bildung der Zukunft . An dieser Stelle sollten wir uns über das Bildungsideal der Zukunft unterhalten, also über das „Wohin“. Auch hier stehen wir offensichtlich an einem Wendepunkt. Das elitäre Bildungskonzept der Aufklärung, der umfassend lexikalisch wissende, feinsinnige Bildungsbürger hat ja schon lange ausgespielt. Er ist im letzten Jahrhundert durch den nicht weniger elitären „Experten“ ersetzt worden, einen Menschen der viel über nichts weiß. Ein guter Kollege von mir, der Moraltheologe Leopold Neuhold hat kürzlich gesagt, dass es eigentlich ganz einfach sei, DER Spitzenforscher auf der Welt zu sein, man müsse nur das Fachgebiet klein genug wählen. Soviel zu unserem dauernden „Exzellenz-Geschrei“ auf den Hochschulen, das in seiner Öde und Leere immer unerträglicher wird…
In den letzten Jahren wird dieses Bild ein wenig „auffrisiert“, es wird der „Nagelexperte“ propagiert: Ein Mensch, der tief in seiner Disziplin verankert ist, aber eben auch ein oberflächliches Wissen über andere Disziplinen verfügt. Überflüssig zu sagen, dass hier nach wie vor die Disziplin, der Tunnelblick, das Abschotten im Vordergrund steht, gemildert durch ein bisschen „Autistentherapie“, so dass man nicht ganz schmähstad ist, wenn ein ebensolcher Experte über seine andere Disziplin redet: Interdisziplinarität als das vorsichtige berühren an den Grenzen, die vorsichtige Liebe intellektueller Stachelschweine!
Alle diese Ideale taugen offensichtlich nicht für die Zukunft. Als erstes müssen wir uns an die die Funktion der Bildung erinnern: Sie soll die Menschen dazu befähigen, sich an der Selbstorganisation einer dauernd evolvierenden Gesellschaft teilzuhaben. Damit sind schon zwei wesentliche Elemente dieses neuen Bildungsideals angesprochen: Es geht um JEDEN Menschen und es geht um IMMER. Damit gehen wir weg von einem Idealzustand des „Gebildet-Seins“ (der wenigen, eben der Elite, vorbehalten und der durch einmalige „Ausbildung“ erreichbar ist und mit lebenslanger „Erhaltungsbildung“ erhalten wird) hin zu einem Idealprozess des „Bildens“, des sich dauernd Reformierens, durch die Rückkoppelungen und durch die Interaktion mit den natürlichen und gesellschaftlich-intellektuellen Systemen. Dieses Ideal ist nun per definitionem nicht elitär (es bezieht sich ja auf einen Prozess, nicht einen individuellen Zustand) und auch nicht an irgendeine Disziplin gebunden (es bezieht sich ja auf die Interaktion und Rückkoppelung in einer systemaren Realität).
Das interessanteste daran ist aber, dass nun das „Bildungsideal“ nicht mehr einem Individuum (dem Experten, dem Wissenschaftler, etc.) zugeordnet wird, sondern eine wesentliche Eigenschaft von Gesellschaften wird. Je besser es eine Gesellschaft versteht ihre Mitglieder in den Prozess der Selbstorganisation einzubinden, je umfassender und effizienter dies gelingt, desto näher kommt sie dem Ideal einer „Bildungsgesellschaft“.
Und damit fällt es mir auch leicht, das neue Ideal der Bildungsgesellschaft zu beschreiben:
„Eine ideale Bildungsgesellschaft integriert jedes ihrer Mitglieder unter voller Nutzung ihrer umfassenden intellektuellen, gesellschaftlichen und kreativen Kapazitäten in den tätigen und verantwortungsvollen Prozess der Selbstorganisation innerhalb der vorgegebenen natürlichen Limitationen“
Na, jetzt bin ich aber gespannt, was Du auf meine freche Definition antworten wirst! Damit für heute genug und ich warte begierig auf Dein „Pong“.
Mit besten Wünschen für Dich und Deine liebe Familie bin ich
Dein
Michael
vielen Dank für Deine letzte zukunftspost! Ich habe mir wieder einmal viel zu lange Zeit gelassen, sie zu beantworten. In der Zwischenzeit sind aber einige Ereignisse geschehen, die auch für unser Ping-Pong Spiel von einiger Bedeutung sind und die ich daher auch als Ausgangspunkt für meinen heutigen Beitrag nehmen möchte: Die Atomkatastrophe von Fukoshima und die Revolte in den arabischen Ländern. Beide Ereignisse bestätigen aus meiner Sicht unsere Analyse der Wendezeit und sie zeigen, dass die Zukunft beginnt.
Das erste Ereignis, die Katastrophe von Fukoshima, ist schnell abgehandelt, wenn auch seine Wirkung für Generationen zu spüren sein wird. Du hast in Deiner letzten zukunftspost ja schon von der Hybris unserer Gesellschaft gesprochen, und auch von der Beschränkung unseres „objektiven Wissens“ mit „Universalanspruch“. Diese Katastrophe ist die furchtbare Bestätigung beider Aussagen! Eine Gesellschaft, die für sich in Anspruch nimmt, „alles im Griff“ zu haben wurde durch einen Rülpser der Natur in schrecklichem Maße auf die Lächerlichkeit dieses Anspruches aufmerksam gemacht. Was mich dabei bedenklich stimmt ist nicht das Faktum an sich. Es war für jeden von uns klar, dass eine solche Katastrophe eintreten wird. Was mich viel mehr stört, ist die oberflächliche Analyse dieses Menetekels: Das kann ja nur in Japan passieren, und auch nur durch ein Erdbeben der Mamutkategorie. Natürlich ist das weit gefehlt. Die Katastrophe wurde ja primär durch die Überschwemmung nach dem Tsunami ausgelöst. Wenn man bedenkt, dass fast alle Kernkraftwerke entlang großer Flüsse liegen (sie brauchen ja das Kühlwasser, sie sind ja sehr ineffiziente Anlagen, die viel ihrer gefährlich gewonnenen Energie nutzlos in die Atmosphäre blasen bzw. Flüsse unnötig aufheizen). Wenn man weiters bedenkt, dass die Überschwemmungskatastrophen immer häufiger und stärker werden, weil wir eben mit unserem Klima gerade ein gigantisches Einmal-Experiment durchführen, dann ärgert man sich eben über so viel nuklearen Zweckoptimismus.
Natürlich könnte wir es uns einfach machen und nun mit dem erhobenen Zeigefinger und dem moralinsauren Gesicht einer rechthaberischen Kasandra herumlaufen und die Vorzüge nachhaltigen Wirtschaftens erneut verkünden. Schließlich kann man gerade uns beiden ja wirklich nicht vorwerfen, nicht schon lange und eindringlich auf die Gefahren nuklearer Energie, aber auch des Fossilwahnsinns hingewiesen zu haben. Das ist aber einerseits fad und andererseits würde es nur den viel wichtigeren Aspekt verdecken, den diese Katastrophe aufzeigt: Das wesentliche Defizit in der Wissensbasis, die derzeit noch in Wirtschaft und Politik den Entscheidungen zu Grunde liegt: Unsere reduktionistische, lineare und disziplinäre Wissenschaft, die ihre existentielle Unsicherheit mit dogmatischem Universalitätsanspruch zu überdecken sucht. Und damit schließe ich unmittelbar an unseren Bildungsdiskurs an!
Die Katastrophe von Fukoshima zeigt für mich ganz deutlich den Zusammenhang zwischen einer bestimmten Art der Bildung, einer bestimmten Art die Welt zu sehen und einer bestimmten Art der Organisation unserer Gesellschaft auf. Du hast ja schon darauf in Deiner letzten zukunftspost hingewiesen: Unsere AUSbildung ist objektbezogen, linear, zersplittert und vom Glauben beseelt, das Richtige und Wahre zu vermitteln. Sie führt daher zur EINbildung, dass wir Menschen eben alles können, alles im Griff haben und wo dies noch nicht der Fall ist, es „in den nächsten Jahren“ zu wissen. Dabei gehen wir immer davon aus, dass dieses neue Wissen eben zusätzliches Wissen ist, Wissen, das nicht das alte Wissen in Frage stellt, sondern stützt und erweitert. IUch finde es immer interessant, wie sich unsere „Wissenden“ über Wissen aus der Antike, des Mittelalters oder auch nur anderer Disziplinen lustig machen und darüber ganz vergessen, dass auch ihr Wissen bald zum alten Eisen gehören wird und dass sich andere in ein paar Jahren über den Blödsinn, der heute unsere „unverrückbare Wissensbasis“ darstellt ebenso lustig machen werden. Wissen ist eben relativ, relativ zur Zeit, relativ zum Kontext. „Der Mensch irrt so lang er strebt“ sagt Goethe, und er meint das nicht böse, ganz im Gegenteil: Er will darauf hinweisen, dass es nicht die Aufgabe des Menschen ist, alles zu wissen und zu planen, sondern eben zu „streben“, und das in einer Umgebung der Unsicherheit, des „Nicht-Wissens“, des Risikos und der mutigen Entscheidung. Wer dies außer Acht lässt und im vermeintlichen „göttlichen“ Besitz der letzten Sicherheit Entscheidungen trifft, die Jahrtausende (gefährlich) wirken, mit unabsehbaren Risiken für weite Landstriche und viele Menschen ist eben dumm. Das Problem ist nun, dass wir mit unserem Bildungssystem genau solche dummen Menschen bevorzugt heranzüchten, einerseits weil wir objektbezogenes (und daher per definitionem relatives und kurzlebiges) Wissen vermitteln, wie Du richtig festgestellt hast. Andererseits bieten wir dieses Wissen nur in engen disziplinären „Tunnels“ an, jeder für sich mit seinen ganz eigenen Annahmen, Vereinfachungen und uneingestandenen normativen Agenden. Du hast ja bereits vom störungsfreien Hilbertraum gesprochen, unsere Disziplinen sind das natürlich auch, wie jedes andere selbstorganisierte Gebilde. Sie schotten sich ab gegen das „Andere“, die andere Disziplin und nicht selten das „Andere“ in der Form der Realität. Bei soviel Tunnelblick ist es nicht erstaunlich, dass uns der Blick auf das Ganze verstellt ist!
Unsere Politiker sind natürlich auch Produkte dieses Bildungssystems. Sie sind ja nicht von Haus aus böse, ganz im Gegenteil, sie wollen meist durchaus Gutes. Das Problem vor dem sie stehen ist aber, dass sie in einer Gesellschaft, die auf dem Glauben an das absolute Wissen aufbaut, nicht unrecht haben dürfen. Unrecht zu haben, zu irren, wird ja als Makel, als unverzeihlicher Fehler angesehen. Und damit wird leider Goethes Spruch „von hinten“ wahr: Wer nicht irrt, der strebt auch nicht!
Das bedeutet jetzt natürlich nicht, dass Politiker nichts tun. Du hast ja ganz richtig auf die Berge hingewiesen, die heute abgetragen wären, hätte man die gute mosaische Praxis weiter gepflegt, Gesetze auf Steintafeln aufzuzeichnen (übrigens ein amüsanter Gedanke, man könnte sie dann ja ganz toll rezyklieren, ein Gefängnis mit unbrauchbaren Strafgesetzen bauen, Straßen mit aus der Mode gekommenen Verkehrsverordnungen! Schließlich würde auch der hochangesehene Stand der Advokaten plötzlich zu einem wirklich schwer arbeitenden Beruf…). Es ist daher nicht das Nichtstun, das den Gegensatz zum Streben darstellt. Es ist die Ablehnung von Verantwortung, der Ersatz von Verantwortung durch den Rekurs auf „Wissen“, auf Experten. Und damit sind wir wieder zurück in Fukoshima, bei den Politikern in ihren lächerlichen blauen Overalls, die sich als erste Arbeiter des Staates generieren wollten und sich in jedem Wort auf ihre Experten bezogen haben, die ja an allem „Schuld“ waren. Wir beklagen ja so oft die Kurzsichtigkeit der politischen Elite. Es ist die Kurzsichtigkeit und das eingeschränkte „Gesichtsfeld“ unserer Wissenschaft und Bildung, die diese Situation erzeugen! Hier in Österreich gibt es ja einen besonders faschistischen Satz in der Werbung: Geht’s der Wirtschaft gut, geht’s uns allen gut. Das ist natürlich Blödsinn, aber man könnte ihn etwas umformulieren: Geht’s der Bildung gut, geht’s uns allen gut. Bildung ist nun einmal das Fundament der Gesellschaft, die auf einem unzeitgemäßen Fundament aufbaut, auf einem unzeitgemäßen Bild des Wissens und der Realität, dann beginnt die Gesellschaft zu kranken. Fukoshima zeigt uns diesen Zusammenhang zwischen Politik und Bildung sehr eindeutig, wir leben am Ende einer Gesellschaft, die vom engen „Wissen“ einer schmalen, dummen und überheblichen Technokratenschicht, verblendet vom Glauben an die Absolutheit ihres lächerlichen Wissens, über den Umweg einer hilflosen, getriebenen und vom selben Wissensglauben beseelten Politikerkaste verwaltet wird.
Nun zum zweiten Ereignis, der Revolte im arabischen Raum, die jetzt (auf dem Weg aller wichtigen Umwälzungen im Abendland) über Spanien ihren Weg nach Europa und von dort in die ganze Welt sucht. Ich glaube, dass dies der Beginn des Anfangs des Neuen ist!
Zwei Elemente aus den vielen, die diese Revolte so außergewöhnlich machen, möchte ich herausgreifen. Das eine ist das offensichtliche Systemversagen der politischen Kaste in diesen Ländern. Natürlich sind diese Länder korrupter als unsere, natürlich sind die politischen Systeme, die da vom Podest gestoßen werden, repressiver als unsere. Aber die generellen Probleme sind dieselben. Die Politik kann die essentiellen Bedürfnisse der Menschen nicht mehr befriedigen, die alte technokratische und paternalistische Art der Gesellschaftsorganisation ist handlungsunfähig, nicht zuletzt auch dadurch, dass ihre Wissensbasis durch ihre Zersplitterung nicht widerspruchsfrei ist, die Technokratenbagage daher in sich uneins und die Politiker hilfloser denn je sind. Diese Grundvoraussetzungen sind bei uns nicht anders als in Nordafrika, der existentielle Druck ist aber dort natürlich unvergleichlich höher.
In dieser Situation passiert etwas ganz interessantes, mein zweites Element: Die gebildete Jugend steht auf und sie nutzt zum ersten Mal in der politischen Auseinandersetzung die Selbstorganisationskraft des Internet! Damit kommen einige ganz neue Aspekte ins Spiel. Als erstes kann plötzlich nicht mehr der Blick aufs Ganze verstellt werden, es gelingt niemandem mehr, die Information zu beherrschen, den Blick der Gesellschaft abzulenken vom großen umfassenden Versagen. Dem Machtapparat geht die Macht über sein wichtigste Instrument verloren: Die Sichtweise der Bürger, die Problemerkenntnis der Menschen, die Wünsche und Sehnsüchte jedes Einzelnen. Das lässt hoffen, das selbst Medienzaren wie Berlusconi und die unsägliche Familie Dichant nicht mehr das Machtmonopol in ihren jeweiligen Ländern ausüben können.
Ein zweiter Aspekt ist ebenso wichtig: Die Revolution wird von einzelnen, handelnden („strebenden“) Menschen betrieben. Diese Menschen haben ein Ziel: Ihr Schicksal in die eigene Hand zu nehmen. Was für ein Bild! Eine auf der Sicherheit des Wissens, der Verantwortungslosigkeit des Rekurses auf Berater/Experten aufgebaute Machtmaschinerie trifft auf eine selbstbewusste und Verantwortung übernehmende Schicht junger Menschen ohne Macht und wird entweder hinweggefegt oder in einen blutigen Endkampf verwickelt! Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die Macht bestehender Organisationen sehr relativiert wurde. Es sind ganz neue Akteure, die hier agieren.
Natürlich wissen wir nicht, wohin die Revolution führen wird und wie das politische System aussieht, das nun an Stelle des Alten tritt. Erstaunlich für mich waren aber die Bilder und Informationen, die die Selbstorganisationskraft dieser Bewegung gezeigt haben. Bürger, die Straßen und Plätze reinigen in Ägypten, Bürgerkomitees für Gesundheit und Versorgung in Libyen und schließlich auch die unerhörte Zähigkeit, mit der sich Menschen im Jemen und vor allem in Syrieneiner brutalen Staatsmacht über lange Zeit schon entgegensetzen.
Ich will die Revolution in Nordafrika und ihre ersten Ausläufer nach Spanien, ebenso wie die Machtdemonstration des Volkes in Deutschland gegen die Atomenergie (die für mich ganz ähnliche Züge wie die Umwälzungen im arabischen Raum trägt!) nicht romantisieren und auch nicht künstlich hochspielen. Sie sind, wie ich schon geschrieben habe, Beginne von Anfängen. Sie machen aber klar, dass die politische Ordnung der menschlichen Gesellschaft an einem Wendepunkt angekommen ist. Dieser Wendepunkt ist der vom Wissen und Planen zum Verantworten und Tun. Und für diese Wende müssen wir unser Bildungssystem nun umgestalten.
Ich habe in meiner letzten zukunftspost dazu einige Gedanken geschrieben und Du hast das noch wesentlich ergänzt. Wir brauchen die Kulturtechniken, die Analysetechniken, das Einordnungswissen und die dauernde kreative Herausforderung und wir müssen uns, so wie Du es klar erkannt hast, vom Objektwissen wegbewegen und zu einem Prozess- und Interaktionswissen kommen. Ganz besonders stimme ich mit Dir überein, dass wir uns vom „Idealwissen“ zum Erfassen des Ganzen bewegen müssen. Um mit Barbara Frischmuth zu sprechen: Die Komplexität ist dem Menschen zumutbar! Es hat wirklich wenig Sinn durch „ideale“ Systeme (etwa die von Dir zitierten „Punktmassen“, die es eben nicht gibt) in die Bildung zuerst die Tunnel der disziplinären Enge zu graben, um dann mühsam das Zusammenwirken aus dem Stückwerk zu erklären. Viel besser wäre es hier die (wenigen) Grundregeln des Zusammenwirkens, der Rückkoppelung und Selbstorganisation zu vermitteln und dann erst in das Spezielle, Disziplinäre einzutauchen. Es geht darum, die Grundlagen eines holistischen Realitätsverständnisses zu legen und gleich gar nicht erst bei den Disziplinen zu beginnen.
Wir haben ja schon so einiges gesagt über das „Wie“ , auch das „Warum“ der Bildung der Zukunft . An dieser Stelle sollten wir uns über das Bildungsideal der Zukunft unterhalten, also über das „Wohin“. Auch hier stehen wir offensichtlich an einem Wendepunkt. Das elitäre Bildungskonzept der Aufklärung, der umfassend lexikalisch wissende, feinsinnige Bildungsbürger hat ja schon lange ausgespielt. Er ist im letzten Jahrhundert durch den nicht weniger elitären „Experten“ ersetzt worden, einen Menschen der viel über nichts weiß. Ein guter Kollege von mir, der Moraltheologe Leopold Neuhold hat kürzlich gesagt, dass es eigentlich ganz einfach sei, DER Spitzenforscher auf der Welt zu sein, man müsse nur das Fachgebiet klein genug wählen. Soviel zu unserem dauernden „Exzellenz-Geschrei“ auf den Hochschulen, das in seiner Öde und Leere immer unerträglicher wird…
In den letzten Jahren wird dieses Bild ein wenig „auffrisiert“, es wird der „Nagelexperte“ propagiert: Ein Mensch, der tief in seiner Disziplin verankert ist, aber eben auch ein oberflächliches Wissen über andere Disziplinen verfügt. Überflüssig zu sagen, dass hier nach wie vor die Disziplin, der Tunnelblick, das Abschotten im Vordergrund steht, gemildert durch ein bisschen „Autistentherapie“, so dass man nicht ganz schmähstad ist, wenn ein ebensolcher Experte über seine andere Disziplin redet: Interdisziplinarität als das vorsichtige berühren an den Grenzen, die vorsichtige Liebe intellektueller Stachelschweine!
Alle diese Ideale taugen offensichtlich nicht für die Zukunft. Als erstes müssen wir uns an die die Funktion der Bildung erinnern: Sie soll die Menschen dazu befähigen, sich an der Selbstorganisation einer dauernd evolvierenden Gesellschaft teilzuhaben. Damit sind schon zwei wesentliche Elemente dieses neuen Bildungsideals angesprochen: Es geht um JEDEN Menschen und es geht um IMMER. Damit gehen wir weg von einem Idealzustand des „Gebildet-Seins“ (der wenigen, eben der Elite, vorbehalten und der durch einmalige „Ausbildung“ erreichbar ist und mit lebenslanger „Erhaltungsbildung“ erhalten wird) hin zu einem Idealprozess des „Bildens“, des sich dauernd Reformierens, durch die Rückkoppelungen und durch die Interaktion mit den natürlichen und gesellschaftlich-intellektuellen Systemen. Dieses Ideal ist nun per definitionem nicht elitär (es bezieht sich ja auf einen Prozess, nicht einen individuellen Zustand) und auch nicht an irgendeine Disziplin gebunden (es bezieht sich ja auf die Interaktion und Rückkoppelung in einer systemaren Realität).
Das interessanteste daran ist aber, dass nun das „Bildungsideal“ nicht mehr einem Individuum (dem Experten, dem Wissenschaftler, etc.) zugeordnet wird, sondern eine wesentliche Eigenschaft von Gesellschaften wird. Je besser es eine Gesellschaft versteht ihre Mitglieder in den Prozess der Selbstorganisation einzubinden, je umfassender und effizienter dies gelingt, desto näher kommt sie dem Ideal einer „Bildungsgesellschaft“.
Und damit fällt es mir auch leicht, das neue Ideal der Bildungsgesellschaft zu beschreiben:
„Eine ideale Bildungsgesellschaft integriert jedes ihrer Mitglieder unter voller Nutzung ihrer umfassenden intellektuellen, gesellschaftlichen und kreativen Kapazitäten in den tätigen und verantwortungsvollen Prozess der Selbstorganisation innerhalb der vorgegebenen natürlichen Limitationen“
Na, jetzt bin ich aber gespannt, was Du auf meine freche Definition antworten wirst! Damit für heute genug und ich warte begierig auf Dein „Pong“.
Mit besten Wünschen für Dich und Deine liebe Familie bin ich
Dein
Michael
Montag, 7. Februar 2011
Betrachtung zu den Dimensionen des Wissens
Lieber Michael,
Recht herzlichen Dank für Deinen Brief zum Jahreswechsel, Deine Vorschläge für die zukünftigen Themen insbesondere über die Selbstorganisation einer zukunftsfähigen Gesellschaft sind es wert etwas näher betrachtet zu werden.
Was mir unmittelbar in Deinem Blog aufgefallen ist sind die Ansätze zur gesellschaftlichen Steuerung, diese geschieht heute fast immer mittels Gesetzen, die wenigstens in unseren Ländern „demokratisch“ entstanden sind und mit dem Machtmonopol durchgesetzt werden. Seit den Steintafeln von Moses würden zum Regeln heute ganze Steinbrüche bzw. Gebirge benötigt werden. Mir scheint deshalb diese Art von Steuerung maßlos und zum Großteil überflüssig, da sie automatisch zu immer größer werdenden Ineffizienzen führt d.h. der Verwaltungs- und Kontrollaufwand steigt an und die Strafmaßnahmen erfordern immer höhere Kosten. Selbstorganisation erfordert Grenzen und Rückkopplungen, diese aber sind durch Verteilungen von Fläche und Flächenausstattung und der wirtschaftenden Anzahl von Menschen im Raum gegeben. In den menschlichen Gesellschaften wurden fast alle Rückkopplungen sukzessiv eliminiert und durch beliebige Regulierungsanstrengungen von den einzelnen Verwaltungen ersetzt. Für den Gesetzgeber gibt es kaum Kriterien für eine nachhaltige Gesetzgebung. Im Laufe der Zeit sind alle evolutionären Regeln die sich die Gesellschaft ausgebildet haben durch Verwaltungsrichtlinien ersetzt worden. Wir brauchen heute eine komplexe und spitzfindige Institution der Rechtspflege, um die Gesellschaft zu verwalten und sehen in der Lückigkeit der Gesetze, immer wieder die Möglichkeit ohne Furcht vor Rückkopplungen zu reüssieren. Hier liegt wahrscheinlich auch einer der Günde warum die Größe einer gesellschaftlichen Struktur die Efizienz und Nachhaltigkeit bestimmt wie dies Leopold Khor deutlich erkannt hat. Natürlich hängt dies mit der Erziehung unserer Kinder im Heim und unseren Schulen zusammen. Sonst gäbe es ja eine Korrelation zwischen den Pisa Ergebnissen und der Größe und Stabilität unserer Gesellschaften.
Außerdem scheint, dass das Wissen in unseren Schulen als abstraktes Wissen mit Universalitätsanspruch als sogenanntes „objektives Wissen“ gelehrt wird. Die Auseinandersetzung mit der Praxis lässt uns jedoch bald erkennen, dass unsere aus dem Wissen abgeleiteten Theorien, für die Umsetzung Erfahrungen und Kenntnisse bezüglich der raumzeitlichen Verteilungen, der Dynamik und Eigenschaften der Objekte und ihrer Umgebung voraussetzen. Der Teufel steckt ja wie wir wissen im Detail – die Reduktion unseres Wissens ist aus diesem Grund zwar für Tätigkeiten in einem geschaffenen spezifischen Umfeld wie z.B. in einer Küche, Werkstatt bzw. einer Fabrik erfolgreich möglich, scheint aber für die praktischen Probleme mit unserer Umwelt in Interaktion mit einzelnen Gesellschaften, durch sich dauernd ändernde Rückkopplungen (Alles mit Allem) und nichtlineare Entwicklungen kaum beherrschbar, geschweige denn berechenbar oder richtungssicher planbar.
Wenn wir als wichtigstes Beispiel für den Evolutionsprozess die Entstehung der Organismen, des Menschen und unserer Umwelt sehen, merken wir, dass die Selbstorganisation zum Zeitpunkt der evolutionären Prozesse harte Grenzen und bestimmte Systemgrößen benötigte weil nur unter limitierten Verhältnissen in relativ kurzen Zeitspannen sich mehr oder weniger geschlossenen Kreisläufe ausbilden konnten und sich unter diesen Verhältnissen der Wirkungsgrad der Systeme optimierte. Der entscheidende Punkt war dabei, dass dabei die verbesserte Ressourcenökonomie des einzelnen Systems zwei Möglichkeiten gleichzeitig bot, nämlich einerseits benachbarte Systeme mit effizienteren Organismen bzw. Zellen auszustatten und dabei die weniger effizienten zu verdrängen, andererseits intern die Entropie abzusenken und innerhalb der Zellen bzw. Organismen einen störungsfreien Raum (Hilbert-raum) zu verwirklichen, der mit weniger externen Stoffwechselprozessen nachhaltiger überleben konnte. Die Größe und Ressourcenausstattung der einzelnen Zellen waren wohl für die Dynamik des Evolutionsprozesses maßgeblich. Jedes Wachstum oder Schrumpfen der einzelnen Zelle führte dabei zu einer suboptimalen Absenkung der Effizienz bezüglich der Ressourcennutzung. Die Anzahl der Zellen pro Lebensraum wurde immer mehr abhängig von der gegebenen Raumausstattung sowie der vollständigeren Dissipation der im Lebensraum zur Verfügung stehenden Energie.
Die Kopplung der einzelnen Zellen zu verschiedenen emergenten Organismen konnte eigentlich nur eine Spielregel verfolgen, und zwar eine weitere Schließung der Kreisläufe auf der nächst höheren Ebene. Die ursprüngliche mit jeder neuen Zelle in der Umwelt anwachsende Entropie konnte durch diese Kopplungen verringert werden. Dabei diente als Basis der Stoffwechselprozesse das Wasser. Die autotrophen Organismen (vorrangig grüne Pflanzen) spalteten das Wasser durch die Photosynthese in Elektronen und Protonen bei gleichzeitiger Fixierung von Energie während die heterotrophen Organismen (vorrangig Bakterien, Pilze und Tiere) durch die respiratorische Synthese von Wasser die gewonnene Energie wieder dissipativ nutzen konnten. Je „besser“ die gekoppelte Struktur dieser Nahrungskette ausgebildet war (P/R=1), desto besser (kohärenter und nachhaltiger) entwickelten sich die Ökosysteme. Bis zuletzt der Mensch als bewusst, denkender Organismus und ausersehen als besonders „ intelligenter“ Steuerer der Ökosysteme, evolutionär geschaffen, auftrat und sukzessive alle Grenzen durch die Beantwortung der Frage „Quis ut Deus?“mit dem Ich beseitigte und nun den Turmbau zu Babel in der Degradierung und Kastrierung seiner Kultur, seiner Gesellschaft sowie teilweise seiner Mit- und Umwelt vollendend erlebt.
Das Beseitigen jeglicher Grenzen zur Steuerung der Märkte, das Entwurzeln von Völkern, Pisa, das Verkaufen von heißer Luft- Zertifikaten, das Vergraben von Treibhausgasen (Vattenfall), das Verkleiden von „political corectness“ mit Demokratie, das Privatisieren von Subsistenz findet heute in einem Hexentanz statt. Die Hybris (Eigendünkel) von Gesellschaften glaube gilt es heute in unserem Schulbetrieb und Wissensbildungsprozess zu beseitigen. Wir lernen zwar immer mehr und mehr objektbezogenes Wissen, wir lernen jedoch nichts vom Wert menschlicher Beziehungen, nichts von angepassten Verteilungen, Unsere Rechenkünste sind grenzenlos und verlieren damit den Wirklichkeitsbezug zur anisotropen und inhomogenen Natur. Die Unterschiede zwischen Kultur und Zivilisation schwinden zunehmend in geschichts- und kontextlosem Unterricht.
Die wichtigsten Fähigkeiten des Menschen liegen im Beseitigen von Beliebigkeiten, im Schaffen von Kohärenz, im Eingehen von zwischenmenschlichen Beziehungen, im Schaffen von notwendigen rückkoppelnden Grenzen für die Selbstorganisation als Weg zu störungsärmeren Lebenssystemen. Kulturen müssten wieder zeitliche und historische Kontinuität in sich bergen. Kriterien im Umgang mit Energie sowie Wege zur Dämpfung derselben in gesteuerten, vollständigen Kreisprozessen und Kopplungen. All dies sollte das Objekt Mensch zum lebendigen Menschen wandeln und es ermöglichen die Lebensqualität in menschlichen Beziehungen zu erleben. Eine beziehungsorientierte, kohärente Bildung anstelle eines reduktionistischen objektorientierten Wissens das sich zur bestmöglichen Einpassung des Menschen als temporärer, kostengünstiger Teil in technischen Systemen und gesetzestreuen, jährlich mehr verdienenden Konsumenten eignet, wäre ein Weg. Wir sind uns glaube ich hier sehr einig, dass „Bildung, der Erwerb und die Pflege jener Fähigkeiten ist, die es einem Menschen möglich machen, an der gesellschaftlichen Selbstorganisation teilzuhaben“ wie Du dies in Deinem Buch ausgedrückt hast.
Die Menschheit wird es sicher nicht schaffen sich auszurotten, auch wenn einige, teils aus Dummheit teils aus Gier, dies anzustreben versuchen. Im Gegenteil nach einer Phase des globalen Niederganges ist ein neues goldenes Zeitalter nicht ganz unwahrscheinlich. Nachdem sich die heutigen sogenannten demokratischen Gesellschaftsgebilde aufbauend auf einer immer spekulativer werdenden (pseudo) wissenschaftlichen Basis zu mehr und mehr Dogmatik und Wachstum outen und durch politische Alimentation und Prostitution der Wissenschaft kaum mehr tiefer sinken können, erscheint zunehmend in kleinen zellularen Strukturen neue kleinräumige und effiziente Nachhaltigkeit in Form einer neuen Vergesellschaftung auf der Basis der Beziehungen und der Kommunikation.
Du, lieber Michael hast dies bereits sehr früh erkannt und Deine Tätigkeiten immer in den Dienst dieser Entwicklungen nach dem Motto „und neues Leben blüht aus den Ruinen“ gestellt. Du hast dies in den“ Inseln der Nachhaltigkeit“ sehr treffend geschildert. Ein wesentlicher Teil dieser Entwicklung ist dabei meines Erachtens die neue Offenheit im Internet, wobei zwar die Art wie Wickileaks dies verwirklicht für mich anfänglich etwas gewöhnungsbedürftig war, bei genauerer Betrachtung zeigen sich jedoch in den Foren, den Chats und den Blogs genau solche Ansätze. Auch eine neue „Mundart Wissenschaft vernacular science“ scheint sich zu entwickeln. Eine Soziologin „Ariel Salleh“ aus Australien hat diesen Ausdruck in einer ihrer Schriften verwendet. Das Internet scheint auch für mich eine evolutionäre Komponente zu sein, die einen großen Einfluss auf die zukünftige Entwicklung nimmt und allmählich schon stark das in der Schule Gelernte hinterfragt und damit auch die gesellschaftlichen Wertungen verändert. Ich bin auch heute schon überzeugt, dass damit auch unsere gesamten Schulsysteme auf den Prüfstand müssen, von Grund auf erneuert und wie ich hoffe auch wesentlich effizienter gestaltet werden können.
Unser gesamtes Schulsystem zeigt sich äußerst fragmentiert und objektlastig zu sein. Auch das Fach Biologie wühlt hauptsächlich im Strukturbereich herum, Ein wirklich dynamisches Modell existiert noch kaum und auch unsere Ängste und Bewertungen umfassen nur die Möglichkeit auf momentane Strukturen zu reagieren. Die Möglichkeit die im Ping-Pong Spiel aber auch in der Musik genutzt wird aus dem „Stream“ heraus zu agieren und mit weniger Einsatz die Phasensteuerung zu übernehmen und teilweise Phasenführend zu werden wird noch kaum angewendet. Aber gerade da scheinen mir die Möglichkeiten besonders höffig und interessant zu sein.
Das Problem an einer Phasenschulter kleine Energien gezielt und phasengerecht einzusetzen um innerhalb weniger Zyklen die Phasen zu schieben und damit Dämpfungs- oder Aufsteilungseffekte in Bewegungsmustern oder Reaktionssystemen zu erzielen scheint im raumzeitlichen Kontext auf fast allen Gebieten einsetzbar zu sein um die Energie mit besserem Wirkungsgrad nutzen zu können. Vielleicht wäre dies auch der Punkt von den dynamischen Eigenschaften des Wassers aus gesehen direkt die Analyse von dynamischen Systemen anzupacken. In der Medizin sind bereits heute solche Methoden (z.B. Hyperthermie) in Entwicklung. Ich weiß nicht ob auf Dauer der pädagogische Einsatz von dimensionslosen Massepunkten in der theoretischen Mechanik vonnöten ist anstatt direkt mit einem dynamischen Wassermodell mit seinen drei dissipativen Eigenschaften an Phasengrenzflächen zu operieren, Gradienten und Transporte zu beschreiben, Reaktionen abzuschätzen und in größter Allgemeinheit die natürliche dissipative Energetik abzubilden. Was aber vor Allem wichtig wäre ist Systeme nicht vorrangig als Objekte zu sehen sondern ihre Interaktion als das wesentliche zu sehen.
Verzeihe, war ja nur ein Gedanke. Trotzdem meine ich, dass wir auch in der Wissenschaft gut bedient wären von voll dynamischen Denkmodellen auszugehen und Raum, Zeit und Interaktion von Anfang an begreifen zu lernen ohne den statischen Modellen zuerst in zweiter Instanz das Gehen beibringen zu müssen. Die Naturwissenschaften würden, glaube ich, dadurch sehr an Transparenz gewinnen. Unser Naturverständnis würde sich dahingehend verändern, dass wir z.B. ohne Schadstoffe, Schmutz und Abfall in unserem Sprachgebrauch auskommen könnten.
Du siehst wie sehr ich mich von Deinem Blog anregen ließ. Ich bin heute soweit, dass ich in Deinem Anregungswässerchen schwimme, scheinbar beliebig aber trotzdem in Mustern die aus unserem Diskurs entstehen, ähnlich wie dies in unserem Ping Pong Spiel der Fall ist. Auch ich wünsche Euch Gesundheit, Zufriedenheit und Erfolg. Es grüßt Dich und Deine Familie herzlich
Willy
Recht herzlichen Dank für Deinen Brief zum Jahreswechsel, Deine Vorschläge für die zukünftigen Themen insbesondere über die Selbstorganisation einer zukunftsfähigen Gesellschaft sind es wert etwas näher betrachtet zu werden.
Was mir unmittelbar in Deinem Blog aufgefallen ist sind die Ansätze zur gesellschaftlichen Steuerung, diese geschieht heute fast immer mittels Gesetzen, die wenigstens in unseren Ländern „demokratisch“ entstanden sind und mit dem Machtmonopol durchgesetzt werden. Seit den Steintafeln von Moses würden zum Regeln heute ganze Steinbrüche bzw. Gebirge benötigt werden. Mir scheint deshalb diese Art von Steuerung maßlos und zum Großteil überflüssig, da sie automatisch zu immer größer werdenden Ineffizienzen führt d.h. der Verwaltungs- und Kontrollaufwand steigt an und die Strafmaßnahmen erfordern immer höhere Kosten. Selbstorganisation erfordert Grenzen und Rückkopplungen, diese aber sind durch Verteilungen von Fläche und Flächenausstattung und der wirtschaftenden Anzahl von Menschen im Raum gegeben. In den menschlichen Gesellschaften wurden fast alle Rückkopplungen sukzessiv eliminiert und durch beliebige Regulierungsanstrengungen von den einzelnen Verwaltungen ersetzt. Für den Gesetzgeber gibt es kaum Kriterien für eine nachhaltige Gesetzgebung. Im Laufe der Zeit sind alle evolutionären Regeln die sich die Gesellschaft ausgebildet haben durch Verwaltungsrichtlinien ersetzt worden. Wir brauchen heute eine komplexe und spitzfindige Institution der Rechtspflege, um die Gesellschaft zu verwalten und sehen in der Lückigkeit der Gesetze, immer wieder die Möglichkeit ohne Furcht vor Rückkopplungen zu reüssieren. Hier liegt wahrscheinlich auch einer der Günde warum die Größe einer gesellschaftlichen Struktur die Efizienz und Nachhaltigkeit bestimmt wie dies Leopold Khor deutlich erkannt hat. Natürlich hängt dies mit der Erziehung unserer Kinder im Heim und unseren Schulen zusammen. Sonst gäbe es ja eine Korrelation zwischen den Pisa Ergebnissen und der Größe und Stabilität unserer Gesellschaften.
Außerdem scheint, dass das Wissen in unseren Schulen als abstraktes Wissen mit Universalitätsanspruch als sogenanntes „objektives Wissen“ gelehrt wird. Die Auseinandersetzung mit der Praxis lässt uns jedoch bald erkennen, dass unsere aus dem Wissen abgeleiteten Theorien, für die Umsetzung Erfahrungen und Kenntnisse bezüglich der raumzeitlichen Verteilungen, der Dynamik und Eigenschaften der Objekte und ihrer Umgebung voraussetzen. Der Teufel steckt ja wie wir wissen im Detail – die Reduktion unseres Wissens ist aus diesem Grund zwar für Tätigkeiten in einem geschaffenen spezifischen Umfeld wie z.B. in einer Küche, Werkstatt bzw. einer Fabrik erfolgreich möglich, scheint aber für die praktischen Probleme mit unserer Umwelt in Interaktion mit einzelnen Gesellschaften, durch sich dauernd ändernde Rückkopplungen (Alles mit Allem) und nichtlineare Entwicklungen kaum beherrschbar, geschweige denn berechenbar oder richtungssicher planbar.
Wenn wir als wichtigstes Beispiel für den Evolutionsprozess die Entstehung der Organismen, des Menschen und unserer Umwelt sehen, merken wir, dass die Selbstorganisation zum Zeitpunkt der evolutionären Prozesse harte Grenzen und bestimmte Systemgrößen benötigte weil nur unter limitierten Verhältnissen in relativ kurzen Zeitspannen sich mehr oder weniger geschlossenen Kreisläufe ausbilden konnten und sich unter diesen Verhältnissen der Wirkungsgrad der Systeme optimierte. Der entscheidende Punkt war dabei, dass dabei die verbesserte Ressourcenökonomie des einzelnen Systems zwei Möglichkeiten gleichzeitig bot, nämlich einerseits benachbarte Systeme mit effizienteren Organismen bzw. Zellen auszustatten und dabei die weniger effizienten zu verdrängen, andererseits intern die Entropie abzusenken und innerhalb der Zellen bzw. Organismen einen störungsfreien Raum (Hilbert-raum) zu verwirklichen, der mit weniger externen Stoffwechselprozessen nachhaltiger überleben konnte. Die Größe und Ressourcenausstattung der einzelnen Zellen waren wohl für die Dynamik des Evolutionsprozesses maßgeblich. Jedes Wachstum oder Schrumpfen der einzelnen Zelle führte dabei zu einer suboptimalen Absenkung der Effizienz bezüglich der Ressourcennutzung. Die Anzahl der Zellen pro Lebensraum wurde immer mehr abhängig von der gegebenen Raumausstattung sowie der vollständigeren Dissipation der im Lebensraum zur Verfügung stehenden Energie.
Die Kopplung der einzelnen Zellen zu verschiedenen emergenten Organismen konnte eigentlich nur eine Spielregel verfolgen, und zwar eine weitere Schließung der Kreisläufe auf der nächst höheren Ebene. Die ursprüngliche mit jeder neuen Zelle in der Umwelt anwachsende Entropie konnte durch diese Kopplungen verringert werden. Dabei diente als Basis der Stoffwechselprozesse das Wasser. Die autotrophen Organismen (vorrangig grüne Pflanzen) spalteten das Wasser durch die Photosynthese in Elektronen und Protonen bei gleichzeitiger Fixierung von Energie während die heterotrophen Organismen (vorrangig Bakterien, Pilze und Tiere) durch die respiratorische Synthese von Wasser die gewonnene Energie wieder dissipativ nutzen konnten. Je „besser“ die gekoppelte Struktur dieser Nahrungskette ausgebildet war (P/R=1), desto besser (kohärenter und nachhaltiger) entwickelten sich die Ökosysteme. Bis zuletzt der Mensch als bewusst, denkender Organismus und ausersehen als besonders „ intelligenter“ Steuerer der Ökosysteme, evolutionär geschaffen, auftrat und sukzessive alle Grenzen durch die Beantwortung der Frage „Quis ut Deus?“mit dem Ich beseitigte und nun den Turmbau zu Babel in der Degradierung und Kastrierung seiner Kultur, seiner Gesellschaft sowie teilweise seiner Mit- und Umwelt vollendend erlebt.
Das Beseitigen jeglicher Grenzen zur Steuerung der Märkte, das Entwurzeln von Völkern, Pisa, das Verkaufen von heißer Luft- Zertifikaten, das Vergraben von Treibhausgasen (Vattenfall), das Verkleiden von „political corectness“ mit Demokratie, das Privatisieren von Subsistenz findet heute in einem Hexentanz statt. Die Hybris (Eigendünkel) von Gesellschaften glaube gilt es heute in unserem Schulbetrieb und Wissensbildungsprozess zu beseitigen. Wir lernen zwar immer mehr und mehr objektbezogenes Wissen, wir lernen jedoch nichts vom Wert menschlicher Beziehungen, nichts von angepassten Verteilungen, Unsere Rechenkünste sind grenzenlos und verlieren damit den Wirklichkeitsbezug zur anisotropen und inhomogenen Natur. Die Unterschiede zwischen Kultur und Zivilisation schwinden zunehmend in geschichts- und kontextlosem Unterricht.
Die wichtigsten Fähigkeiten des Menschen liegen im Beseitigen von Beliebigkeiten, im Schaffen von Kohärenz, im Eingehen von zwischenmenschlichen Beziehungen, im Schaffen von notwendigen rückkoppelnden Grenzen für die Selbstorganisation als Weg zu störungsärmeren Lebenssystemen. Kulturen müssten wieder zeitliche und historische Kontinuität in sich bergen. Kriterien im Umgang mit Energie sowie Wege zur Dämpfung derselben in gesteuerten, vollständigen Kreisprozessen und Kopplungen. All dies sollte das Objekt Mensch zum lebendigen Menschen wandeln und es ermöglichen die Lebensqualität in menschlichen Beziehungen zu erleben. Eine beziehungsorientierte, kohärente Bildung anstelle eines reduktionistischen objektorientierten Wissens das sich zur bestmöglichen Einpassung des Menschen als temporärer, kostengünstiger Teil in technischen Systemen und gesetzestreuen, jährlich mehr verdienenden Konsumenten eignet, wäre ein Weg. Wir sind uns glaube ich hier sehr einig, dass „Bildung, der Erwerb und die Pflege jener Fähigkeiten ist, die es einem Menschen möglich machen, an der gesellschaftlichen Selbstorganisation teilzuhaben“ wie Du dies in Deinem Buch ausgedrückt hast.
Die Menschheit wird es sicher nicht schaffen sich auszurotten, auch wenn einige, teils aus Dummheit teils aus Gier, dies anzustreben versuchen. Im Gegenteil nach einer Phase des globalen Niederganges ist ein neues goldenes Zeitalter nicht ganz unwahrscheinlich. Nachdem sich die heutigen sogenannten demokratischen Gesellschaftsgebilde aufbauend auf einer immer spekulativer werdenden (pseudo) wissenschaftlichen Basis zu mehr und mehr Dogmatik und Wachstum outen und durch politische Alimentation und Prostitution der Wissenschaft kaum mehr tiefer sinken können, erscheint zunehmend in kleinen zellularen Strukturen neue kleinräumige und effiziente Nachhaltigkeit in Form einer neuen Vergesellschaftung auf der Basis der Beziehungen und der Kommunikation.
Du, lieber Michael hast dies bereits sehr früh erkannt und Deine Tätigkeiten immer in den Dienst dieser Entwicklungen nach dem Motto „und neues Leben blüht aus den Ruinen“ gestellt. Du hast dies in den“ Inseln der Nachhaltigkeit“ sehr treffend geschildert. Ein wesentlicher Teil dieser Entwicklung ist dabei meines Erachtens die neue Offenheit im Internet, wobei zwar die Art wie Wickileaks dies verwirklicht für mich anfänglich etwas gewöhnungsbedürftig war, bei genauerer Betrachtung zeigen sich jedoch in den Foren, den Chats und den Blogs genau solche Ansätze. Auch eine neue „Mundart Wissenschaft vernacular science“ scheint sich zu entwickeln. Eine Soziologin „Ariel Salleh“ aus Australien hat diesen Ausdruck in einer ihrer Schriften verwendet. Das Internet scheint auch für mich eine evolutionäre Komponente zu sein, die einen großen Einfluss auf die zukünftige Entwicklung nimmt und allmählich schon stark das in der Schule Gelernte hinterfragt und damit auch die gesellschaftlichen Wertungen verändert. Ich bin auch heute schon überzeugt, dass damit auch unsere gesamten Schulsysteme auf den Prüfstand müssen, von Grund auf erneuert und wie ich hoffe auch wesentlich effizienter gestaltet werden können.
Unser gesamtes Schulsystem zeigt sich äußerst fragmentiert und objektlastig zu sein. Auch das Fach Biologie wühlt hauptsächlich im Strukturbereich herum, Ein wirklich dynamisches Modell existiert noch kaum und auch unsere Ängste und Bewertungen umfassen nur die Möglichkeit auf momentane Strukturen zu reagieren. Die Möglichkeit die im Ping-Pong Spiel aber auch in der Musik genutzt wird aus dem „Stream“ heraus zu agieren und mit weniger Einsatz die Phasensteuerung zu übernehmen und teilweise Phasenführend zu werden wird noch kaum angewendet. Aber gerade da scheinen mir die Möglichkeiten besonders höffig und interessant zu sein.
Das Problem an einer Phasenschulter kleine Energien gezielt und phasengerecht einzusetzen um innerhalb weniger Zyklen die Phasen zu schieben und damit Dämpfungs- oder Aufsteilungseffekte in Bewegungsmustern oder Reaktionssystemen zu erzielen scheint im raumzeitlichen Kontext auf fast allen Gebieten einsetzbar zu sein um die Energie mit besserem Wirkungsgrad nutzen zu können. Vielleicht wäre dies auch der Punkt von den dynamischen Eigenschaften des Wassers aus gesehen direkt die Analyse von dynamischen Systemen anzupacken. In der Medizin sind bereits heute solche Methoden (z.B. Hyperthermie) in Entwicklung. Ich weiß nicht ob auf Dauer der pädagogische Einsatz von dimensionslosen Massepunkten in der theoretischen Mechanik vonnöten ist anstatt direkt mit einem dynamischen Wassermodell mit seinen drei dissipativen Eigenschaften an Phasengrenzflächen zu operieren, Gradienten und Transporte zu beschreiben, Reaktionen abzuschätzen und in größter Allgemeinheit die natürliche dissipative Energetik abzubilden. Was aber vor Allem wichtig wäre ist Systeme nicht vorrangig als Objekte zu sehen sondern ihre Interaktion als das wesentliche zu sehen.
Verzeihe, war ja nur ein Gedanke. Trotzdem meine ich, dass wir auch in der Wissenschaft gut bedient wären von voll dynamischen Denkmodellen auszugehen und Raum, Zeit und Interaktion von Anfang an begreifen zu lernen ohne den statischen Modellen zuerst in zweiter Instanz das Gehen beibringen zu müssen. Die Naturwissenschaften würden, glaube ich, dadurch sehr an Transparenz gewinnen. Unser Naturverständnis würde sich dahingehend verändern, dass wir z.B. ohne Schadstoffe, Schmutz und Abfall in unserem Sprachgebrauch auskommen könnten.
Du siehst wie sehr ich mich von Deinem Blog anregen ließ. Ich bin heute soweit, dass ich in Deinem Anregungswässerchen schwimme, scheinbar beliebig aber trotzdem in Mustern die aus unserem Diskurs entstehen, ähnlich wie dies in unserem Ping Pong Spiel der Fall ist. Auch ich wünsche Euch Gesundheit, Zufriedenheit und Erfolg. Es grüßt Dich und Deine Familie herzlich
Willy
Freitag, 31. Dezember 2010
Wissen als Basis der selbstorganisierenden Gesellschaft
Lieber Willy,
vielen Dank für Deine zukunftspost und Deine lieben Weihnachtswünsche. Leider habe ich es vor Weihnachten nicht geschafft, Dir zu antworten. Aber immerhin bin ich rechtzeitig dran, Dir und Deiner Familie ein erfolgreiches und vor allem gesundes Neues Jahr 2011 zu wünschen.
Es scheint, dass unsere zukunftspost jeweils nach einem Jahr in einen neuen Abschnitt eintritt, so auch mit diesem Jahreswechsel. Ich habe die Muße der Weihnachtszeit genutzt, unseren Austausch noch einmal kritisch zu lesen und bin dabei zur Erkenntnis gekommen, dass wir im Jahr 2010 weitgehende Übereinstimmung über die Basis einer nachhaltigen, selbstorganisierenden Gesellschaft gelegt haben. Ganz kurz möchte ich daher die wichtigsten Ecksteine einer solchen Gesellschaft zusammenfassen:
• Die Ausrichtung von Wirtschaft und Produktion am natürlichen Einkommen: Die eingestrahlte Sonnenenergie und die durch diese in Gang gehaltenen natürlichen Stoffkreisläufe und Energieflüsse stellen den festen Rahmen der wirtschaftlichen Aktivitäten der Gesellschaft und der menschlichen Produktion von Gütern und Bereitstellung von Dienstleistungen dar. Aus diesem Aspekt folgt, dass sich ein zukünftiges Sozialsystem an der gerechten Verteilung dieses natürlichen Einkommens (und dem fairen Zugang zu nicht-erneuerbaren Ressourcen als Mittel zur Nutzung dieses Einkommens) orientieren muss. Ebenso muss sich ein zukünftiges Währungssystem am natürlichen Einkommen orientieren und daran gebunden werden. Wir kommen also vom einstmaligen feudalen Goldstandard über den ungebremsten Idiotenstandard des ungezügelt wachsenden Spekulationskapitals zum nachhaltigen Solarstandard. Wie der genau aussehen kann, das ist eine der vielen Diskussionspunkte, die wir uns noch aufbehalten, damit uns auch in den nächsten Jahren nicht langweilig wird!
• Die Organisation der Gesellschaft in funktionalen, raumgebundenen und nicht hierarchischen regionalen Einheiten: Die Ausrichtung der Wirtschaft am natürlichen Einkommen macht eine adäquate politische Struktur notwendig. Das Leitkapital einer nachhaltigen Gesellschaft ist die Fläche und ihre natürliche Ausstattung (von Bodenfruchtbarkeit hin bis zur biologischen Vielfalt), da nur über Fläche das natürliche Einkommen der Sonneneinstrahlung genutzt werden kann. Die Verwaltung dieses Kapitals, aber auch jener lebenserhaltenden natürlichen Prozesse wie des Wasserkreislaufs, ist daher an funktionale räumliche Einheiten gebunden, die daher auch zu den entscheidenden Einheiten des politischen Handelns werden. Ebenso sind (bei aller möglichen individuellen Mobilität) gesellschaftliche und kulturelle Grundvorgänge wie Wohnen, die physische Grundversorgung aber auch viele Bildungs- und Kulturaktivitätenräumlich gebunden. Wir kommen daher von den feudalen Grundherrschaften über die Verrücktheit der ethnischen Nationalstaaten zu natur- und soziofunktionalen politischen Einheiten, die sich durchaus räumlich überlappen und durchsetzen. Das ist jetzt nicht unbedingt ein Plädoyer für chauvinistische Kleinstfürstentümer. Auch die Europäische Union kann eine solche funktionale Einheit sein. Was wichtig ist, ist dass diese Einheiten IHRE Funktionen regeln (und nicht ALLE Funktionen innerhalb ihres Territoriums) und mit den anderen regionalen Einheiten in einem gleichberechtigten politischen Diskurs über quer schneidende Problemstellungen eintreten. Es gibt daher keine „Hegemonie des Größeren“, sondern funktionale (und schlanke) Verwaltungen, die in Diskursform Zukunft machen. Erneut haben wir hier einen sehr interessanten Ansatzpunkt für zukünftige Diskussionsrunden in unserer zukunftspost, die das Zusammenwirken dieser Einheiten weiter aufhellen sollen.
• Basisdemokratische Entscheidungsmechanismen auf der Basis der aktiven Partizipation und der Vertrauensmaximierung: Solche funktionalen Einheiten können nicht mehr durch herkömmliche repräsentative (Partei-) Demokratien gelenkt werden. Vielmehr müssen jene Akteure, die durch diese Funktionen direkt betroffen sind (und die diese Funktionen direkt beeinflussen) in offenen und transparenten Entscheidungsvorgängen die Zukunft gestalten. In solchen Entscheidungsprozessen wird das Recht der Mitentscheidung durch aktive Teilhabe am Entscheidungsvorgang erworben, die Legitimation der Entscheidungen muss durch Vertrauen in die handelnden Akteure und durch die Konformität mit allgemeinen Regeln (einer „Europäischen Verfassung“??? Europa als „Funktionale regionale Einheit der Rechtstaatlichkeit“???) erarbeitet werden. Auch hier öffnet sich uns natürlich ein besonders breites Feld der Diskussion in den nächsten Monaten und Jahren, auf das ich mich schon ganz besonders freue!
• Die Finanzierung gesellschaftlicher Aktivitäten durch eine „natürliche Einkommenssteuer“ und die Einführung einer Grundsicherung als Menschenrecht: Logisch aus der Orientierung am natürlichen Einkommen ableitbar ist die Steuerbasis einer zukünftigen selbstorganisierenden Gesellschaft: Die Basisressourcen Grund und Boden sowie nicht erneuerbare Rohstoffe. Grundsätzlich soll ein Steuersystem ja dazu beitragen, den effizienten Umgang mit der beschränkenden Ressource der gesellschaftlichen Entwicklung zu fördern. Dies ist nach unserer gemeinsamen Auffassung Grund und Boden als Haupttransformator des natürlichen Einkommens in gesellschaftlich nutzbare Dienstleistungen. Daher ist es logisch, diese Ressource als Basis des Steuersystems zu nehmen. Zusätzlich dazu muss auch noch die in Anspruchnahme nicht erneuerbarer Ressourcen so effizient als möglich gestaltet werden und zukünftigen Generationen über eine entsprechende Steuer „abgekauft“ werden. Die genaue Ausgestaltung eines fairen Steuersystems wird uns natürlich auch noch weiterhin in der zukunftpost beschäftigen, ebenso wie die Verwaltung dieser Einkünfte und den Austausch zwischen den einzelnen funktionalen politischen Einheiten. Du hast ja hier bereits einen sehr interessanten Vorschlag gemacht, nämlich dass hier der Steuerfluss „auf den Kopf“ gestellt wird: Die kleinsten Einheiten zur Verwaltung des natürlichen Einkommens heben die Steuer ein und geben jeweils Anteile an die anderen Einheiten (also auch an die “höheren“) ab.
Aus dieser Steuerbasis geht auch logisch die Forderung nach einer Grundsicherung für alle hervor. Wird das natürliche Einkommen als Basis genommen, so hat natürlich jeder Mensch ein „natürliches“ Anrecht auf seinen Anteil daran. Das natürliche Einkommen „gehört“ ja niemandem, es ist ein Gottesgeschenk, ebenso wie das Leben und die persönliche Freiheit. Damit ist es klar, dass diejenigen, die derzeit das Kapital zur Nutzung des natürlichen Einkommens „besitzen“ (und nicht „im Eigentum haben“!) dem eigentlichen Eigentümer (= der menschlichen Gesellschaft in ihrer Gesamtheit) die Nutzung des Kapitals ablösen. Dieser Teil der Grundsteuer muss daher an alle Bürgerinnen und Bürger in Form einer Grundsicherung zurückfließen. Wir haben schon erörtert, dass dies nicht nur eine logische Folge aus der Orientierung am natürlichen Einkommen ist, sondern auch eine Grundvoraussetzung dafür, dass wir vom kanzerogenen Wachstumswahn der derzeitigen Wirtschaft abkommen können. Auch hier gibt es natürlich breites Diskussionsfeld, das uns für die zukunftspost zur Verfügung steht.
Diese Kurzzusammenfassung der Diskussion des Jahres 2010 soll uns helfen, in eine detaillierte Diskussion über einzelne Felder im nächsten Jahr einzutreten. Ich überlasse diesmal Dir den Aufschlag, welches Feld Dir am meisten am Herzen brennt.
Für heute möchte ich nur noch eine „Querschnittsmaterie“ (eigentlich hasse ich dieses Wort) ansprechen, nämlich Bildung für eine selbstorganisierende Gesellschaft. Dieses Thema ist aus mehreren Gründen wichtig. Einerseits ist natürlich Bildung die Basis jeder gesellschaftlichen Entwicklung (auch wenn das unsere Politiker nicht immer so sehen). Andererseits ist Bildung und die Organisation von Wissen bereits heute untrennbar mit einem anderen selbstorganisierenden Phänomen, dem Internet, verbunden. Ich glaube, dass wir überhaupt sehr viel über gesellschaftliche Selbstorganisation lernen können, wenn wir uns die Organisation, die Entscheidungsprozesse, aber auch die Wirtschaft des Internet näher ansehen. Ich glaube weiters, dass das Internet eine ganz wesentliche Funktionalität in der Entstehung und dem „Betrieb“ einer selbstorganisierenden nachhaltigen Gesellschaft ausüben wird. Das möchte ich in einer späteren zukunftspost, wenn es um die politische Gestaltung der Gesellschaft geht, noch einmal aufgreifen.
Nun aber zur Bildung, die mir natürlich als Hochschullehrer sehr am Herzen liegt. Erwarte aber bitte keine Generallösung für die PISA-Schwäche Österreichs oder die Uni-Misere in unseren Ländern. Ich will auch gar nicht auf die AUS-Bildung für bestimmte Berufe eingehen, schon deshalb nicht, weil ich einfach nicht weiß, wie die Berufe der Zukunft aussehen werden. Ich will vielmehr einige Grundlinien ziehen, von denen wir vielleicht eine weiterführende Bildungsdiskussion aufbauen können, wenn Dir das ebenso am Herzen liegt wie mir.
Zuerst einmal möchte ich darstellen, worum es mir geht: Für mich ist Bildung der Erwerb und die Pflege jener Fähigkeiten, die es einem Menschen möglich machen, an der gesellschaftlichen Selbstorganisation teilzuhaben.
Eine selbstorganisierende Gesellschaft ist aber auch eine sich immer verändernde Gesellschaft, die auch ihre Teilhabebedingungen verändert. Damit ist Bildung ein dauernder, kontinuierlicher Prozess gesellschaftlicher Prozess. Hier kommen wir in eine interessante Zirkeldefinition: Bildung ist nicht nur ein Vorgang, der zur Teilhabe an der gesellschaftlichen Selbstorganisation ermächtigt, sondern, da Bildung selbst ein Teil dieser Selbstorganisation ist, ein Vorgang, der auch zur Teilhabe an sich selbst ertüchtigt. Wir brauchen also „Bildung für Bildung“!
Grundsätzlich glaube ich, dass wir vier unterschiedliche aber unverzichtbare Elemente in jeder Bildung haben. Einerseits geht es um Kulturtechniken, also jene Fähigkeiten, die notwendig sind um am Bildungsprozess selbst teilzuhaben. Lesen und schreiben (in der Muttersprache, aber auch der Sprache des Lebensumfeldes) sowie rechnen sind die konventionellen Kulturtechniken, die nun durch die Nutzung von Internet und weiteren elektronischen Informationstechniken (Mobiltelefon, etc.) zu ergänzen sind. Altmodisch wie ich bin glaube ich, dass man diese Techniken nur „erlernen“ kann, und dass das so früh als möglich erfolgen sollte. Unsere Grundschulen sollten daher diesen Kulturtechniken vorbehalten bleiben und von allem anderen Zinnober befreit werden. Wenn die Kinder mit zehn Jahren Lesen und auch schreiben können und die Grundrechnungsarten beherrschen, aber auch mit Mobiltelefon und Internet zumindest angefreundet sind, wäre das toll!
Ein zweites Element sind für mich Analysetechniken, also die Vermittlung von Denkstrukturen zur Einordnung der Prozesse in der Realität. Hier geht es nicht um „Wissen“ sondern um Konzepte wie Bilanzen (gut zu brauchen im Wirtschaftleben, ebenso wie in der Naturwissenschaft), statistische Grundlagen aber auch wesentliche Grundkonzepte der Sozial-, Wirtschafts- und Politikprozesse. Ganz besonders wichtig ist hier das Konzept der Sprache, da sollte die Bildung dazu anleiten, wie man sich Sprachen aneignen kann. Denkstrukturen sind sicherlich ein gutes Feld für lebenslanges Lernen, aber ich würde hier gerade in der Zeit zwischen zehn und fünfzehn Jahren einen Schwerpunkt setzen, wobei hier sehr viel praktische Übung als Vermittlungsprinzip eingesetzt werden soll.
Ein drittes Element ist Einordnungswissen. Hier geht es um Konzepte der Bewertung, der Systematisierung. Das beginnt bei philosophischer Bildung (inklusive der Logik), geht über ethische Bildung bis zur Bewertung von Information, von sozialer Transparenz und Vertrauen. Auch das ist natürlich ein lebenslanger Auftrag, aber besonders im Alter von fünfzehn Jahren aufwärts wichtig.
Ein viertes, zeitlich durchlaufendes Element ist die Herausforderung der Kreativität und Selbstverantwortung. Dieses Element sollte von „cradle to grave“ ein Hauptelement der Bildung sein, wobei dies nicht nur im künstlerischen und kulturellen Bereich angesiedelt sein soll. Es geht auch darum, gesellschaftlich und wirtschaftlich kreativ zu sein und Menschen dazu zu ertüchtigen.
Für heute will ich es bei der Beschreibung dieser grundlegenden Elemente belassen und hoffe auf einen „gut geschnittenen“ Ball von Dir, damit wir diese wichtige Diskussion weiter vertiefen können.
Lieber Willy, noch mal ein gesundes und erfolgreiches Neues Jahr Dir und Deiner Familie
Dein Michael
vielen Dank für Deine zukunftspost und Deine lieben Weihnachtswünsche. Leider habe ich es vor Weihnachten nicht geschafft, Dir zu antworten. Aber immerhin bin ich rechtzeitig dran, Dir und Deiner Familie ein erfolgreiches und vor allem gesundes Neues Jahr 2011 zu wünschen.
Es scheint, dass unsere zukunftspost jeweils nach einem Jahr in einen neuen Abschnitt eintritt, so auch mit diesem Jahreswechsel. Ich habe die Muße der Weihnachtszeit genutzt, unseren Austausch noch einmal kritisch zu lesen und bin dabei zur Erkenntnis gekommen, dass wir im Jahr 2010 weitgehende Übereinstimmung über die Basis einer nachhaltigen, selbstorganisierenden Gesellschaft gelegt haben. Ganz kurz möchte ich daher die wichtigsten Ecksteine einer solchen Gesellschaft zusammenfassen:
• Die Ausrichtung von Wirtschaft und Produktion am natürlichen Einkommen: Die eingestrahlte Sonnenenergie und die durch diese in Gang gehaltenen natürlichen Stoffkreisläufe und Energieflüsse stellen den festen Rahmen der wirtschaftlichen Aktivitäten der Gesellschaft und der menschlichen Produktion von Gütern und Bereitstellung von Dienstleistungen dar. Aus diesem Aspekt folgt, dass sich ein zukünftiges Sozialsystem an der gerechten Verteilung dieses natürlichen Einkommens (und dem fairen Zugang zu nicht-erneuerbaren Ressourcen als Mittel zur Nutzung dieses Einkommens) orientieren muss. Ebenso muss sich ein zukünftiges Währungssystem am natürlichen Einkommen orientieren und daran gebunden werden. Wir kommen also vom einstmaligen feudalen Goldstandard über den ungebremsten Idiotenstandard des ungezügelt wachsenden Spekulationskapitals zum nachhaltigen Solarstandard. Wie der genau aussehen kann, das ist eine der vielen Diskussionspunkte, die wir uns noch aufbehalten, damit uns auch in den nächsten Jahren nicht langweilig wird!
• Die Organisation der Gesellschaft in funktionalen, raumgebundenen und nicht hierarchischen regionalen Einheiten: Die Ausrichtung der Wirtschaft am natürlichen Einkommen macht eine adäquate politische Struktur notwendig. Das Leitkapital einer nachhaltigen Gesellschaft ist die Fläche und ihre natürliche Ausstattung (von Bodenfruchtbarkeit hin bis zur biologischen Vielfalt), da nur über Fläche das natürliche Einkommen der Sonneneinstrahlung genutzt werden kann. Die Verwaltung dieses Kapitals, aber auch jener lebenserhaltenden natürlichen Prozesse wie des Wasserkreislaufs, ist daher an funktionale räumliche Einheiten gebunden, die daher auch zu den entscheidenden Einheiten des politischen Handelns werden. Ebenso sind (bei aller möglichen individuellen Mobilität) gesellschaftliche und kulturelle Grundvorgänge wie Wohnen, die physische Grundversorgung aber auch viele Bildungs- und Kulturaktivitätenräumlich gebunden. Wir kommen daher von den feudalen Grundherrschaften über die Verrücktheit der ethnischen Nationalstaaten zu natur- und soziofunktionalen politischen Einheiten, die sich durchaus räumlich überlappen und durchsetzen. Das ist jetzt nicht unbedingt ein Plädoyer für chauvinistische Kleinstfürstentümer. Auch die Europäische Union kann eine solche funktionale Einheit sein. Was wichtig ist, ist dass diese Einheiten IHRE Funktionen regeln (und nicht ALLE Funktionen innerhalb ihres Territoriums) und mit den anderen regionalen Einheiten in einem gleichberechtigten politischen Diskurs über quer schneidende Problemstellungen eintreten. Es gibt daher keine „Hegemonie des Größeren“, sondern funktionale (und schlanke) Verwaltungen, die in Diskursform Zukunft machen. Erneut haben wir hier einen sehr interessanten Ansatzpunkt für zukünftige Diskussionsrunden in unserer zukunftspost, die das Zusammenwirken dieser Einheiten weiter aufhellen sollen.
• Basisdemokratische Entscheidungsmechanismen auf der Basis der aktiven Partizipation und der Vertrauensmaximierung: Solche funktionalen Einheiten können nicht mehr durch herkömmliche repräsentative (Partei-) Demokratien gelenkt werden. Vielmehr müssen jene Akteure, die durch diese Funktionen direkt betroffen sind (und die diese Funktionen direkt beeinflussen) in offenen und transparenten Entscheidungsvorgängen die Zukunft gestalten. In solchen Entscheidungsprozessen wird das Recht der Mitentscheidung durch aktive Teilhabe am Entscheidungsvorgang erworben, die Legitimation der Entscheidungen muss durch Vertrauen in die handelnden Akteure und durch die Konformität mit allgemeinen Regeln (einer „Europäischen Verfassung“??? Europa als „Funktionale regionale Einheit der Rechtstaatlichkeit“???) erarbeitet werden. Auch hier öffnet sich uns natürlich ein besonders breites Feld der Diskussion in den nächsten Monaten und Jahren, auf das ich mich schon ganz besonders freue!
• Die Finanzierung gesellschaftlicher Aktivitäten durch eine „natürliche Einkommenssteuer“ und die Einführung einer Grundsicherung als Menschenrecht: Logisch aus der Orientierung am natürlichen Einkommen ableitbar ist die Steuerbasis einer zukünftigen selbstorganisierenden Gesellschaft: Die Basisressourcen Grund und Boden sowie nicht erneuerbare Rohstoffe. Grundsätzlich soll ein Steuersystem ja dazu beitragen, den effizienten Umgang mit der beschränkenden Ressource der gesellschaftlichen Entwicklung zu fördern. Dies ist nach unserer gemeinsamen Auffassung Grund und Boden als Haupttransformator des natürlichen Einkommens in gesellschaftlich nutzbare Dienstleistungen. Daher ist es logisch, diese Ressource als Basis des Steuersystems zu nehmen. Zusätzlich dazu muss auch noch die in Anspruchnahme nicht erneuerbarer Ressourcen so effizient als möglich gestaltet werden und zukünftigen Generationen über eine entsprechende Steuer „abgekauft“ werden. Die genaue Ausgestaltung eines fairen Steuersystems wird uns natürlich auch noch weiterhin in der zukunftpost beschäftigen, ebenso wie die Verwaltung dieser Einkünfte und den Austausch zwischen den einzelnen funktionalen politischen Einheiten. Du hast ja hier bereits einen sehr interessanten Vorschlag gemacht, nämlich dass hier der Steuerfluss „auf den Kopf“ gestellt wird: Die kleinsten Einheiten zur Verwaltung des natürlichen Einkommens heben die Steuer ein und geben jeweils Anteile an die anderen Einheiten (also auch an die “höheren“) ab.
Aus dieser Steuerbasis geht auch logisch die Forderung nach einer Grundsicherung für alle hervor. Wird das natürliche Einkommen als Basis genommen, so hat natürlich jeder Mensch ein „natürliches“ Anrecht auf seinen Anteil daran. Das natürliche Einkommen „gehört“ ja niemandem, es ist ein Gottesgeschenk, ebenso wie das Leben und die persönliche Freiheit. Damit ist es klar, dass diejenigen, die derzeit das Kapital zur Nutzung des natürlichen Einkommens „besitzen“ (und nicht „im Eigentum haben“!) dem eigentlichen Eigentümer (= der menschlichen Gesellschaft in ihrer Gesamtheit) die Nutzung des Kapitals ablösen. Dieser Teil der Grundsteuer muss daher an alle Bürgerinnen und Bürger in Form einer Grundsicherung zurückfließen. Wir haben schon erörtert, dass dies nicht nur eine logische Folge aus der Orientierung am natürlichen Einkommen ist, sondern auch eine Grundvoraussetzung dafür, dass wir vom kanzerogenen Wachstumswahn der derzeitigen Wirtschaft abkommen können. Auch hier gibt es natürlich breites Diskussionsfeld, das uns für die zukunftspost zur Verfügung steht.
Diese Kurzzusammenfassung der Diskussion des Jahres 2010 soll uns helfen, in eine detaillierte Diskussion über einzelne Felder im nächsten Jahr einzutreten. Ich überlasse diesmal Dir den Aufschlag, welches Feld Dir am meisten am Herzen brennt.
Für heute möchte ich nur noch eine „Querschnittsmaterie“ (eigentlich hasse ich dieses Wort) ansprechen, nämlich Bildung für eine selbstorganisierende Gesellschaft. Dieses Thema ist aus mehreren Gründen wichtig. Einerseits ist natürlich Bildung die Basis jeder gesellschaftlichen Entwicklung (auch wenn das unsere Politiker nicht immer so sehen). Andererseits ist Bildung und die Organisation von Wissen bereits heute untrennbar mit einem anderen selbstorganisierenden Phänomen, dem Internet, verbunden. Ich glaube, dass wir überhaupt sehr viel über gesellschaftliche Selbstorganisation lernen können, wenn wir uns die Organisation, die Entscheidungsprozesse, aber auch die Wirtschaft des Internet näher ansehen. Ich glaube weiters, dass das Internet eine ganz wesentliche Funktionalität in der Entstehung und dem „Betrieb“ einer selbstorganisierenden nachhaltigen Gesellschaft ausüben wird. Das möchte ich in einer späteren zukunftspost, wenn es um die politische Gestaltung der Gesellschaft geht, noch einmal aufgreifen.
Nun aber zur Bildung, die mir natürlich als Hochschullehrer sehr am Herzen liegt. Erwarte aber bitte keine Generallösung für die PISA-Schwäche Österreichs oder die Uni-Misere in unseren Ländern. Ich will auch gar nicht auf die AUS-Bildung für bestimmte Berufe eingehen, schon deshalb nicht, weil ich einfach nicht weiß, wie die Berufe der Zukunft aussehen werden. Ich will vielmehr einige Grundlinien ziehen, von denen wir vielleicht eine weiterführende Bildungsdiskussion aufbauen können, wenn Dir das ebenso am Herzen liegt wie mir.
Zuerst einmal möchte ich darstellen, worum es mir geht: Für mich ist Bildung der Erwerb und die Pflege jener Fähigkeiten, die es einem Menschen möglich machen, an der gesellschaftlichen Selbstorganisation teilzuhaben.
Eine selbstorganisierende Gesellschaft ist aber auch eine sich immer verändernde Gesellschaft, die auch ihre Teilhabebedingungen verändert. Damit ist Bildung ein dauernder, kontinuierlicher Prozess gesellschaftlicher Prozess. Hier kommen wir in eine interessante Zirkeldefinition: Bildung ist nicht nur ein Vorgang, der zur Teilhabe an der gesellschaftlichen Selbstorganisation ermächtigt, sondern, da Bildung selbst ein Teil dieser Selbstorganisation ist, ein Vorgang, der auch zur Teilhabe an sich selbst ertüchtigt. Wir brauchen also „Bildung für Bildung“!
Grundsätzlich glaube ich, dass wir vier unterschiedliche aber unverzichtbare Elemente in jeder Bildung haben. Einerseits geht es um Kulturtechniken, also jene Fähigkeiten, die notwendig sind um am Bildungsprozess selbst teilzuhaben. Lesen und schreiben (in der Muttersprache, aber auch der Sprache des Lebensumfeldes) sowie rechnen sind die konventionellen Kulturtechniken, die nun durch die Nutzung von Internet und weiteren elektronischen Informationstechniken (Mobiltelefon, etc.) zu ergänzen sind. Altmodisch wie ich bin glaube ich, dass man diese Techniken nur „erlernen“ kann, und dass das so früh als möglich erfolgen sollte. Unsere Grundschulen sollten daher diesen Kulturtechniken vorbehalten bleiben und von allem anderen Zinnober befreit werden. Wenn die Kinder mit zehn Jahren Lesen und auch schreiben können und die Grundrechnungsarten beherrschen, aber auch mit Mobiltelefon und Internet zumindest angefreundet sind, wäre das toll!
Ein zweites Element sind für mich Analysetechniken, also die Vermittlung von Denkstrukturen zur Einordnung der Prozesse in der Realität. Hier geht es nicht um „Wissen“ sondern um Konzepte wie Bilanzen (gut zu brauchen im Wirtschaftleben, ebenso wie in der Naturwissenschaft), statistische Grundlagen aber auch wesentliche Grundkonzepte der Sozial-, Wirtschafts- und Politikprozesse. Ganz besonders wichtig ist hier das Konzept der Sprache, da sollte die Bildung dazu anleiten, wie man sich Sprachen aneignen kann. Denkstrukturen sind sicherlich ein gutes Feld für lebenslanges Lernen, aber ich würde hier gerade in der Zeit zwischen zehn und fünfzehn Jahren einen Schwerpunkt setzen, wobei hier sehr viel praktische Übung als Vermittlungsprinzip eingesetzt werden soll.
Ein drittes Element ist Einordnungswissen. Hier geht es um Konzepte der Bewertung, der Systematisierung. Das beginnt bei philosophischer Bildung (inklusive der Logik), geht über ethische Bildung bis zur Bewertung von Information, von sozialer Transparenz und Vertrauen. Auch das ist natürlich ein lebenslanger Auftrag, aber besonders im Alter von fünfzehn Jahren aufwärts wichtig.
Ein viertes, zeitlich durchlaufendes Element ist die Herausforderung der Kreativität und Selbstverantwortung. Dieses Element sollte von „cradle to grave“ ein Hauptelement der Bildung sein, wobei dies nicht nur im künstlerischen und kulturellen Bereich angesiedelt sein soll. Es geht auch darum, gesellschaftlich und wirtschaftlich kreativ zu sein und Menschen dazu zu ertüchtigen.
Für heute will ich es bei der Beschreibung dieser grundlegenden Elemente belassen und hoffe auf einen „gut geschnittenen“ Ball von Dir, damit wir diese wichtige Diskussion weiter vertiefen können.
Lieber Willy, noch mal ein gesundes und erfolgreiches Neues Jahr Dir und Deiner Familie
Dein Michael
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