Sonntag, 6. Juni 2010

Das Ende des Wachstums – Das Ende des Eigentums

Lieber Willy,

vielen Dank für Deine letzte Zukunftspost, die wie immer den Punkt meiner Ausführungen über Demokratie und Selbstorganisation gründlich vertieft hat. Vor allem bin ich Dir dankbar, dass Du mich mit dem Dir eigenen Scharfblick auf die entscheidende Stelle im Zusammenleben jeder Gesellschaft hingeführt hast. Es geht hier um die Gretchenfrage: Wie hältst Du’s mit dem Eigentum?
Du hast natürlich vollkommen recht. Bevor wir nicht diesen Grundbegriff geklärt haben, brauchen wir uns mit den Feinheiten der politischen Struktur einer nachhaltigen Gesellschaft gar nicht auseinander zu setzen. Daher habe ich auch gleich eine provokante These als Aufschlag für die weitere Diskussion: Wenn eine nachhaltige Gesellschaft ohne (nennenswertes) materielles Wachstum auskommen muss, dann ist das gleichzeitig auch das Ende des individuellen Eigentums.
Das klingt radikal und es ist es auch. Aber keine Angst, ich will hier nicht alte marxistische Träumereien aufwärmen und alles kollektivieren. Das hat nicht funktioniert und wird auch nicht funktionieren. Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass wir es mit einer viel zu komplexen Wirklichkeit zu tun haben, die sich (wie wir ja schon festgehalten haben) jeder Planung und jeder hierarchischen Führung/Regierung entzieht, in der wir nur durch die Beachtung der Regeln der Selbstorganisation gedeihen können. Kollektivierung im marxistischen Sinn bedeutete aber immer Planung, immer „Machtausübung“ einer Partei, immer das Diktat der „Wissenden“. Diktat ist aber das Gegenkonzept zur Selbstorganisation! Es ist zum Scheitern verurteilt, wie gut meinend und moralisch integer die Lenkenden auch immer sein mögen.
Was ich aber schon möchte, ist den „kleinen Unterschied“ zwischen Eigentum und Besitz wieder in den Mittelpunkt rücken. Eigentum ist ja der „uneingeschränkteste“ Machtanspruch über irgendein Ding (wir wollen erst gar nicht über die Frage des Eigentums an Menschen und Tieren rühren, die ja ihre eigenen moralischen Probleme in sich birgt!).
Zunächst einmal möchte ich nun doch ein wenig in die Weltbild-Trickkiste greifen. Ein wesentliches Merkmal des mechanistischen Weltbildes ist die starke Verknüpfung des (freien) Individuums mit seinem Eigentum. Es ist aber auch ganz einfach einzusehen: Wenn dem Menschen jede metaphysische Sinngebung entzogen wird, wenn er nur mehr ein Produkt von Zufall und Notwendigkeit ist (wie es Jacques Monod so treffend charakterisiert), dann ist der Mensch auch nur mehr durch sein Verhältnis zu den anderen Individuen und Dingen der Realität bestimmt. Sein „Sinn“ ist dann durch seinen individuellen Platz in der Realität, seine Stelle im „Machtgefüge“ und eben durch seine Macht über Dinge, sein Eigentum, gegeben.
So sehr diese Erhöhung des Eigentums als sinnstiftendes Institut in einem mechanistischen Weltbild verständlich ist, so witzig mutet es an, dass auch die Kirche noch im Zweiten Vatikanum davon spricht, dass Eigentum eine notwendige Vorbedingung für die individuelle Freiheit des Menschen ist. Na, wenn das der „Chef“ erfährt…
An dieser Stelle sollten wir uns über den Zusammenhang zwischen einem übermächtigen Eigentumsbegriff und Wachstum Gedanken machen. Wenn Eigentum für den Sinn des Individuums so wichtig ist, dann ist sein Schutz natürlich eine „lebenswichtige“ Aufgabe. Um das zu schützen, was man hat, muss man aber Herrschaft über „noch mehr“ erringen: Um die Weide zu schützen, muss man einen Zaun haben, um die eigenen Tiere vor den Unbillen der Natur zu schützen, braucht man einen Stall, um sich vor Missernten zu schützen braucht man Vorräte, um sich im Alter vor dem Verlust des Lebensstandards zu schützen, braucht man „wohl erworbene“ Rechte auf Pensionen, usw., usw., usw. Faktum ist: Nur mehr Eigentum kann Eigentum schützen. Wenn Eigentum also einen so entscheidenden Platz im Weltbild einnimmt und wenn darüber hinaus die eigene Individualität gegen alle „anderen“ und gegen die Natur geschützt werden muss, dann ist Wachstum vor programmiert! Wir sind hier einer Grund-Triebfeder unserer gesellschaftlicher Ordnung (und ihrer Fehlentwicklung!) auf den Grund gekommen. Wollen wir eine selbstorganisierende, sich immer stärker strukturell statt materiell entwickelnde Gesellschaft, so müssen wir uns überlegen, was wir mit dieser Triebfeder anfangen.
Im Gegensatz zum uneingeschränkten Machtanspruch des Eigentums ist der Besitz-Begriff stärker vom Konzept der Nutzung abgeleitet. Wenn man etwas besitzt, dann ist man im strengen Sinn dem „Eigentümer“ gegenüber verpflichtet und verantwortlich. Man ist zur optimalen Verwaltung des übertragenen Besitzes aufgerufen, der „Eigentümer“ erwartet, dass das Besitztum in ordentlichem Stand gehalten wird, ebenso wie er auch eine Gegenleistung für die Überlassung seines Gutes erwartet. Besitz ist daher keine uneingeschränkte Verfügungsgewalt, sondern viel stärker ein Nutzungsrecht auf irgendeine Sache, das auch die Verantwortung für diese Sache mit einschließt.
Interessant ist, dass unsere Vorfahren im Mittelalter, das ja wirtschaftlich weitgehend auf Grund und Boden aufgebaut war, diesen Unterschied nicht nur sehr genau kannten sondern gerade ihre wesentliche Wirtschaftsgrundlage nicht dem individuellen Eigentum überantworteten: Grund und Boden wurden als Lehen gegeben, zur Nutzung und Verwaltung. Dem Lehnsherren stand das Recht zu, dieses Lehn zu entziehen, aber auch einen Anteil des Ertrages zu erhalten.
Natürlich ist der Rückgriff auf mittelalterliche Rechtssysteme ebenso Humbug wie das wieder aufwärmen des Kommunismus. Es zeigt aber, dass Eigentum als einzige gesellschaftliche Norm nicht unbedingt nötig ist. Es zeigt erstaunlicherweise auch, dass Wirtschaftsformen, die dem individuellen Eigentum wenig Bedeutung zu messen, kaum wachsen. Die wesentliche Frage ist daher: Gelingt es uns, eine Gesellschaftsform zu finden, die selbstorganisierende, strukturelle Weiterentwicklung zulässt, für die Menschen Lebensqualität bereitstellt aber materielles Wachstum an die ökologischen Grenzen bindet.
Ich glaube so wie Du, dass dies möglich ist. Die Grundfesten einer solchen Gesellschaft sind ebenso schon lange bekannt und von Dir sowohl in der letzten zukunftspost als auch schon an anderen Stellen unserer Diskussion genannt worden. Sie sind:
* Grundsicherung des Individuums
* Rechtssicherheit bei der Verwaltung des individuellen Besitzes
* Besteuerung von Grund- und Boden
* Besteuerung von Ressourcen
Ich möchte diese Punkte einzeln ansprechen, schon um für unsere weitere Diskussion eine Grundlage zu legen.
Die Grundsicherung des Individuums ist die wesentliche Basis einer solchen Gesellschaft. Nur wenn es uns gelingt, den Menschen ihre Existenzangst zu nehmen, können wir den todbringenden und ineffizienten Wachstums-Kreislauf des Strebens nach immer mehr Eigentum um das bestehende Eigentum (und damit die individuelle Existenz) zu schützen, durchbrechen. Diese Grundsicherung sollte jedem Menschen das Überleben garantieren. Es sollte aus einer starken Gesundheitsvorsorge, einer ausreichenden Krankenversorgung, einer hervorragenden Bildung, dem uneingeschränkten Zugang zu Kultur, Wissen und zu Möglichkeiten, die eigenen Fähigkeiten zu schärfen und einzusetzen und einer wirtschaftlichen Transferleistung bestehen. Der oberflächlich interessanteste Teil ist dabei sicher die Kalibrierung der wirtschaftlichen Transferleistung. Sie sollte so groß sein, dass ein Einzelner in Würde leben kann, vor allem sollte sie aber zur Vergesellschaftung der Menschen anregen. Dies könnte etwa dadurch geschehen, dass Gemeinschaftskonten progressiv mehr erhalten: Eine vierköpfige Familie, ebenso wie eine vierköpfige Wohngemeinschaft von Studenten erhält dann eben nicht viermal die Grundsicherung, sondern auf ein Gemeinschaftskonto fünf mal den Betrag. Das wesentliche: Diese Transferleistung ist die einzige finanzielle Sozialleistung des Staates an seine Bürger (abgesehen von speziellen Förderungen für besondere Bedürfnisse). Sie steht jedem Menschen gleich zu.
Wichtiger für die Gesellschaft in strategischer Hinsicht sind aber die anderen Maßnahmen, nämlich eine hervorragende Bildung und der Zugang zu Wissen und individueller Entfaltung. Hier hilft uns einerseits das Internet, das den Wissenszugang schon weitgehend demokratisiert hat. Zusätzlich müssen wir aber unsere Bildungseinrichtungen „auf den Kopf“ stellen und endlich wirklich lebenslange Bildung (und nicht kurzfristige Berufsertüchtigung) anbieten, ebenso wie effiziente Möglichkeiten, gute Ideen weiterzuentwickeln und zu realisieren. Diesem weiten Feld werden wir sicher noch die eine oder anderer zukunftspost widmen müssen!
Die individuelle Grundsicherung kann aber nur ein Teil sein. Ein wesentlicher anderer Eckpfeiler einer selbstorganisierenden Gesellschaft muss die Rechtssicherheit bei der Nutzung des Besitzes sein. Du siehst schon, hier steht nichts vom Eigentum! Es geht vielmehr darum, die Fehler des mittelalterlichen Feudalsystems und des Kommunismus zu umgehen. Besitz soll gesellschaftlich geschützt werden, solange er
a) genutzt wird und
b) diese Nutzung innerhalb der Regeln zur Erhaltung der Grundsubstanz erfolgt.
Es geht hier also nicht um Enteignung oder um feudale Willkür. Es geht vielmehr um die Verhinderung von ineffizienter Spekulation einerseits und Raubbau andererseits. Besitz verpflichtet. Besitz soll aber auch weiterhin die Möglichkeit zur Entfaltung der wirtschaftlichen Kreativität bieten. Daher soll dem Besitzer im Rahmen dieser beiden Bedingungen möglichst breiter Raum zum optimalen Einsatz seines Besitzes geboten werden.
Mit der Besteuerung von Grund- und Boden kann hier eine wichtige „Umverteilung“ des natürlichen Einkommens erreicht werden. Nach dem Sonnenenergie ja das einzige „materielle“ Einkommen der natur auf unserem Planeten ist, muss dieses kollektive Einkommen (das ja jedem Menschen als „unverbrüchliches Geburtsrecht“ zusteht!) entsprechend an die Gesellschaft verteilt werden. Wer den wesentlichen Produktionsfaktor zur Nutzung dieses Einkommens verwaltet, muss daher diese Abgabe an die Gemeinschaft leisten.
Natürlich ist diese Steuer nicht einfach eine „Hektarsteuer“. Sie muss die Produktivität des Landes, aber auch Investitionen in „besseren Ertrag in der Zukunft“ (etwa Humusaufbau und ähnliches) in Rechnung stellen, ebenso wie Bodendegradation durch Versiegelung oder Monokultur. Ziel sollte es sein, die Grundsicherung für alle aus dieser Quelle weitgehend zu decken und damit der Grundidee des gemeinschaftlichen Verwaltens des natürlichen Einkommens zu entsprechen.
Automatisch würde hier auch ein Eingriff gegen Spekulation und Versiegelungs-Raubbau möglich: jeder, der seinen Besitz nicht nutzt, muss diese Abgabe trotzdem leisten. Jeder der Boden versiegelt, müsste den Verlust der Funktionalität des Bodens zusätzlich zur Bodensteuer leisten. Damit wird sowohl Spekulation als auch Versiegelungs- und Bauwahn teuer.
Schließlich ist eine Besteuerung von Ressourcen unumgänglich, sie muss insbesondere für die Infrastruktur in materieller Hinsicht (Straßen, öffentliche Gebäude, etc.) und immaterieller Hinsicht (Bildung, Gesundheit, Sicherheit, etc.) sorgen. Damit löst sie die Besteuerung von Arbeit als Grundlage der Finanzgebahrung der Gesellschaft ab.
Ressourcen sind direkt mit unserer Entnahme aus der Natur (und auch unserer Belastung der Natur durch den Abfall am Ende jeden Produkt-Lebenszyklus) verbunden. Wenn wir davon ausgehen, dass jede Ressource „Eigentum“ von allen Menschen (auch den noch nicht geborenen!) ist, so muss derjenige, der sie „in Besitz nimmt“ diesem „Eigentümer“ eine entsprechende Gegenleistung bringen. Hier ist ein breiter Spielraum für die „Ökologisierung“ des Steuersystems. Dies ist ja nicht einfach dadurch zu erreichen, dass wir ein paar Cent mehr für Sprit zahlen. Vielmehr muss es darum gehen, Ressourcen auf der Basis ihrer Belastung für die Umwelt und ihrer zukünftigen Verfügbarkeit zu bewerten und zu besteuern. Damit soll die Stoffflusswirtschaft unsere Gesellschaft endlich auf nachhaltige Fundamente gestellt werden. Auch hier werden wir wohl die eine oder andere zukunftspost noch schreiben müssen!
Führt dies alles schon zu einer nachhaltigen, selbstorganisierenden Gesellschaft? Nein, sicher nicht! Es sind aber ganz wesentliche Elemente einer solchen Zukunftsgesellschaft, die daneben natürlich auch noch ein neues politisches Ordnungssystem und ein neues Bildungssystem braucht, alles Gegenstände für unsere weitere Diskussion. Ich glaube aber schon, dass eine Umgestaltung des Steuersystems auch unser Gesellschaftssystem wesentlich beeinflussen wird (und im Gegenzug dazu nur möglich wird, wenn diese Umgestaltung Ziel der Bürgerinnen und Bürger wird!).
Tatsächlich glaube ich, dass diese Umgestaltung bereits sehr bald beginnen wird. Die Finanzkrise wird uns in dankenswerter Weise der Notwendigkeit entheben, die 95 % Spekulationsvermögen zu reduzieren. Die Frage nach neuen Einnahmequellen wird zwangsläufig auf die Besteuerung von „Eigentum“ gehen und es damit langsam zu „Besitz“ machen, mit allen Konsequenzen. Die Frage nach dem ewigen Wachstum wird sich in Europa ebenso „von selbst“ erledigen. Damit stellt sich also am Ende dieser zukunftspost weniger die Frage, wie wir zu einer solchen nachhaltigen Wirtschaft kommen, sondern wieder einmal wie wir uns in einer solchen am besten organisieren können, um sie zu einer lebenswerten Gesellschaft zu machen.

Soweit für dieses Mal aus meinem wunderschönen Perlsdorf, wo die Welt noch (und schon wieder!) in Ordnung ist.

Dein Michael