Dienstag, 6. August 2013

Die Organismierung der Menschheit

Lieber Willy, Waidhofen/Y, 6.8.2013 nun sind schon fast zwei Jahre seit unserem letzten „Ping-Pong“ vergangen, zwei Jahre, in denen sich sehr viel getan hat. Es hat mir unerhört gut getan, Dich wieder zu sehen. Vielen Dank an dieser Stelle an Dich und Deine Frau für die Gastfreundschaft in Eurem neuen Domizil in Haag! Besonders schön war es, dass unsere Diskussionen eigentlich ohne Bruch wieder aufgenommen werden konnten. Trotz der langen Zeit zwischen unseren Treffen sind unsere Gedanken nicht auseinander gedriftet, sondern vielleicht noch fokussierter geworden. Unsere Treffen haben mich dazu gebracht, kurz in unsere zukunftspost zu sehen und einmal Revue passieren zu lassen, wie sich unsere Diskussion bis heute entwickelt hat. Dabei habe ich festgestellt, dass wir eigentlich die wesentlichen Fragestellungen der Entstehung unserer Realität und der Evolution schon ziemlich weit vorangetrieben und ein insgesamt stimmiges Bild entworfen haben. Wir haben ja eigentlich auch schon beschlossen, uns den Folgerungen unseres Bildes der Realität und der Evolution für die Entwicklung der Gesellschaft zu widmen, ein Vorhaben, dass in unserer Situation am Anfang einer globalen Wendezeit sicher notwendig ist. Ein bisschen haben wir in dieser Hinsicht natürlich schon vorgearbeitet, in dem wir uns mit Grundzügen von Wirtschaft und Politik auseinander gesetzt haben. Jetzt sollten wir einen neuen Anlauf nehmen, uns nicht mehr und nicht weniger vornehmen als das intellektuelle Fundament einer neuen Zeit, eben der Zukunft, der unsere Post gewidmet ist, zu legen. Natürlich nehme ich den Mund wieder ganz schon voll und ich weiß natürlich, dass ich, selbst mit Deiner gewaltigen Hilfe, das nicht schaffen werde. Aber wenn niemand die erste Skizze für ein Gebäude zeichnet, wird es nicht entstehen. Also muss irgendwer anfangen, warum sollen das nicht wir zwei sein? Selbst wenn der Bau dann ganz anders aussieht, als wir uns das ausgedacht haben, so haben wir es eben versucht. Besser intellektuell mit der Entwicklung ringen und scheitern, als nur „Kronen Zeitung“ zu lesen und alles geschehen zu lassen! Mut kann man sich nicht kaufen! Nach dem ich mir, wie der kleine pfeifende Junge im Wald, genug Mut gemacht habe, hole ich ganz tief Luft und gebe der Zukunft ihren Namen: Das „Zeitalter der Organismierung der Menschheit“. Eigentlich hat mich die Diskussion mit Dir letzte Woche bei dem schönen Mostheurigen auf diese Bezeichnung gebracht. Du hast davon gesprochen, dass wir in einer Wendezeit leben, in der die Menschheit aus ihrer Vorpubertät in die Pubertät tritt. Ähnliches hat schon Ken Wilber in seinem Buch „Halbzeit der Evolution“ behauptet. Ich finde das Bild vom Eintritt in die Pubertät aus vielen Gründen passend. Einerseits schließt die Pubertät das Wachstum ab, ein Vorgang, der ja auch auf die Menschheit in naher Zukunft zutrifft, sowohl was die Anzahl der Menschen als auch ihren Ressourcenverbrauch betrifft. Andererseits ist dies die Zeit, in der Menschen sich ihrer Beziehung zur Gesellschaft im Allgemeinen und dem anderen Geschlecht im Besonderen bewusst werden. Sie werden sich selber als Teil des Gesamten bewusst. Auch hier sehe ich eine Parallele zur derzeitigen Situation der Menschheit: Wir werden uns zunehmend unserer globalen Abhängigkeit voneinander bewusst, ebenso wie unserer intrinsischen Verbundenheit mit der Natur. Als Menschheit haben wir uns in wunderbarer Weise an die Beschreibung Teilhard de Chardin’s gehalten: In wenigen Millionen Jahren, in einem Augenblick der Geschichte unseres Planeten, haben wir unsere Spezies globalisiert. Die Welle der Ausbreitung der Menschheit, die gepaart mit einem exponentiellem Wachstum der Aneignung der Natur durch uns Menschen war, ist einmal um den Erdball gelaufen und trifft nun auf sich selbst. Das ist der Startpunkt dieser neuen Ära, Zeit für uns unsere Spezies-Kindheit abzulegen und in die Pubertät einzutreten. Wie aber komme ich dazu, dieser neuen Ära unter das Motto „Organismierung der Menschheit“ zu setzen. Nun, auch dazu haben mich unsere jüngsten Diskussionen gebracht. Dazu möchte ich aber kurz Themen, die wir in der zukunftspost bereits behandelt haben, ins Gedächtnis zurück rufen und in diesen neuen Kontext stellen. Wir haben ganz am Anfang bereits Endlichkeit als den Ausgangspunkt der Realität festgelegt. Vielleicht kommen wir ja im Laufe der zukunftspost noch auf die theologischen Folgerungen daraus zurück, die wir ja bei dem Mostheurigen auch diskutiert haben. Wesentlich aber ist, dass Endlichkeit immer bedeutet, dass es etwas Anderes gibt. Die Existenz, auch unsere eigene, ist ohne das andere nicht möglich. Es gibt uns nur, weil es das Andere gibt. Der Grund dafür ist, dass Existenz ja auf Wahrnehmung aufbaut. Nehme ich nichts mehr war, so bin ich auch nicht mehr. Wahrnehmung ist aber eine bestimmte Form von Wechselwirkung, und Wechselwirkung ist nur mit „dem Anderen“ möglich. Existenz, unsere ganze Realität, ist daher nichts anderes als ein Netzwerk von Wechselwirkungen. Diese Wechselwirkungen ihrerseits strukturieren unsere Realität, sie „erzeugen“ Raum und Zeit und alle anderen Strukturen unserer Realität, Alles ist nichts anderes als ein Konstrukt dieser Wechselwirkungen. Endlichkeit (also die Trennung von einem umfassenden Ganzen) schafft daher Wechselwirkung schafft daher Realität. Auch hier ließe sich trefflich theologisch einhaken, was wir aber auch auf später verschieben wollen. Aber diese Wechselwirkungen haben ihre eigene Gesetzmäßigkeit, diese Gesetzmäßigkeit ist die Selbstorganisation unserer Realität. Evolution ist kein Zufall, sie ist unserer Realität zu Grunde gelegt. Damit ist auch Leben keineswegs etwas zufällig entstandenes, sondern eine Eigenschaft dieser Realität. Materie kann gar nicht anders, sie muss zum Leben führen! All das haben wir in der einen oder anderen Form in unserem Diskurs schon abgehandelt, es ist auch gar nicht so neu. Ähnlich haben schon Varela und Maturana, die beiden chilenischen Wissenschaftler, die so viel zum Verständnis von Selbstorganisation beigetragen haben, argumentiert. „Wir erschaffen die Realität und das Leben dadurch dass wir leben“ ist einer ihrer Kernsätze, er stimmt genau mit dieser Sicht der Realität, die wir diskutiert haben, überein. Was wir aber weiter diskutiert haben, dort beim Mostheurigen, weist aber darüber hinaus. Wir haben uns diesen Vorgang der Selbstorganisation näher vorgenommen und ihn auf seine Elemente hin analysiert. In Deinen Abhandlungen hast Du ja schon immer auf die zentrale Rolle des Wassers für unsere Lebensform hier auf der Erde hingewiesen. Wasser für sich hat bereits wichtige Eigenschaften aus der Sicht der Selbstorganisation, es kann sich selbst strukturieren, von den Wasserclustern bis hin zu den zu den Rollzellen bei starkem (Wärme-) Energiefluss durch Wasser. Worauf du aber ganz besonders hinweist (und das auch in vergangenen Abschnitten unserer zukunftspost ausgeführt hast) ist Dissoziation des Wassers, die sich im pH Wert ausdrückt: Wasser ist daher zu jedem Augenblick ein reagierendes System, es stabilisiert ein dynamisches Gleichgewicht einer Radikalreaktion. Damit haben wir ein Element, das offensichtlich für Selbstorganisation und „Leben“ notwendig ist: Ein System, das zumindest soweit in sich selbst strukturiert ist, dass es „schwingt“ (also dynamische Reaktionen auf Pulse zeigt) und Austauschvorgänge zwischen seinen Teilen zulässt und reaktive Komponenten (im Fall von Wasser eben die H+ und OH- Ionen) einbettet und diese Reaktionen stabilisiert. Wasser für sich schafft aber kein Leben, es kann sich zwar erstaunlich komplex und großräumig strukturieren, aber eben keine organische Verbindung aufbauen. Dazu bedarf es offensichtlich dreier weiterer Komponenten: Diskretisierte (pulsierende) Flüsse wie etwa Lichtwellen, Grenzflächen und strukturfähigen Rezipienten. Die Grenzflächen dienen dabei einerseits der Weitergabe der Pulse (also des Austausches über die Grenzfläche hinweg) und andererseits der Modulierung dieser Schwingungen, die durch die pulsierenden Flüsse ausgelöst werden. Damit können die reaktiven Systeme (im Falle des Wassers eben die Wasserionen) örtlich angeregt werden (was ja in jeder normalen Katalyse auf passiert) und die Reaktion an strukturfähige Rezipienten weitergeben. Im Falle der Entstehung des Lebens sind das eben die Kohlenstoff-Verbindungen, vor allem Kohlendioxid, das durch diesen Vorgang zu Kohlenwasserstoffen umgewandelt wird. Dieser Vorgang stabilisiert sich zu neuen Strukturen, wenn das neue Gesamtsystem (also etwa Wasser und die neu entstandenen Kohlenwasserstoffe) die gepulsten Ströme besser zu „dissipieren“, d.h. zu Strukturen zu führen, die diese Pulse mit kleineren Potentialunterschieden an weitere Rezipienten weitergeben können. Ich habe in dieser ganzen Argumentation einen Begriff verwendet, den ich hier noch nicht erklärt habe: Struktur. Wir haben natürlich schon viel darüber in der zukunftspost geschrieben aber für die weitere Argumentation und die Unterstützung meiner frechen Namensgebung der Zukunft möchte ich hier noch ein wenig weitergehen in der Diskussion. Strukturen sind nicht fixe, unverrückbare „Dinge“ sondern dynamische Prozesse, die ein System von inneren Strukturen, die für sich wieder dynamische Prozesse sind, verknüpfen. Das wesentliche, was Strukturen aber unterscheidet von anderen Wechselwirkungs-Prozessen (die ja auch dynamisch sind und die auch „Strukturen“ miteinander verbinden) ist, dass diese Wechselbeziehungen in einer Struktur rekursiv sind und sich durch Rückkoppelung stabilisieren. Du hast in unserer Diskussion immer wieder von Kreisprozessen gesprochen: Genau solche Rückkoppelungen sind das Charakteristikum von Strukturen. * Aus dieser Definition von Strukturen folgen nun eine Reihe von interessanten Eigenschaften, die wir noch für unsere Argumente brauchen werden. Rückkoppelungen unterscheiden die Strukturelemente von den Elementen, die nicht Teil der Struktur sind. Es gibt daher ein Innen und ein Außen für diese dynamischen Prozesse, die wir Strukturen nennen. Strukturen wirken daher für sich strukturierend, sie strukturieren unseren Raum und damit unsere Realität. Sie bilden daher Grenzen zu ihrem „Außen“. * Strukturen wirken aber auch strukturierend auf jeden Puls-Fluss: Sie nehmen aus dem Puls das, was sie für ihre eigene Stabilisierung durch die rekursiven Prozesse in ihrem Inneren brauchen und dissipieren auf diese Art den Puls in ihre eigene dynamische Stabilität. Diese Aufnahme des Pulses erfolgt über ihre Grenzflächen, die außen von innen trennen. * Strukturen modulieren daher Pulse und wirken so auf ihre Umgebung verändernd. * Strukturen können für sich selbst aber auch mit anderen Strukturen in Wechselwirkung treten, wobei diese Wechselwirkungen durch die Art der internen rückgekoppelten Prozesse und nicht durch die Qualität des Pulses, den sie selbst nutzen, bestimmt sind. Damit erlauben Strukturen die Dissipation von Pulsen auf ganz anderen Ebenen (und durch ganz andere Potentiale bestimmt), sie Erhöhen damit wesentlich die Dissipationseffizienz des gesamten Systems und machen damit das System (also die Gesamtheit der Strukturen, die durch den Puls-Fluss betroffen sind) stabiler. * Strukturen verändern durch ihre Wechselwirkungen mit anderen Strukturen dieses Gesamtsystem, ein Vorgang, den wir üblicherweise als Evolution bezeichnen. Aus dieser Sicht ist „Leben“ weder etwas unheimlich Zufälliges noch etwas Besonderes: Es ist eine direkte Folge der Realität, es sind Strukturen, die sich nach einem bestimmten Bauplan selbst erzeugen. Dieser Bauplan ändert sich gegenüber der Lebensdauer der einzelnen Struktur nur langsam. Wie der Bauplan stabilisiert wird und sich verändert ist ein Kapitel für sich, das wir später in unserer zukunftspost erörtern sollten. Innerhalb dieses Phänomens Leben erkennen wir aber einen weiteren Vorgang den ich Organismierung nennen möchte. Er ist nichts anderes als die Vergesellschaftung lebender Strukturen ihre Differenzierung und der Aufbau rekursiver Wechselwirkungen zwischen diesen Strukturen. Dieser Vorgang führt zu einer neuen Struktur (dem Organismus), die sich ebenfalls wieder selbst erzeugen kann und damit stabilisiert. Dieser Vorgang stellt immer einen Quantensprung in der Effizienz der Nutzung des Puls-Flusses dar, da innerhalb eines Organismus nun Rückkoppelung auf ganz unterschiedlichen Ebenen stattfinden kann und damit der einmal aufgeprägte Energiepuls in sehr vielen Kanälen dissipiert werden kann. Hier will ich diese ziemlich trockene Wiederholung unserer Diskussion einmal abschließen und zu meiner Anfangsthese zurückkehren: Was wir sehen sind erste Anzeichen der Organismierung der Menschheit. Wir sehen einerseits eine starke räumliche Differenzierung und Diskretisierung der menschlichen Gesellschaft. Unsere wachsenden Städte legen davon Zeugnis ab. Gleichzeitig erkennen wir die starke Differenzierung im Sinne der Arbeitsteilung. Zusätzlich dazu ist bereits der Druck von außen zur Effizienzsteigerung unserer Ressourcennutzung klar am Horizont erkennbar. Noch aber sind unsere Systeme offen, unserer Wechselwirkungen miteinander sind weder systemisch rückgekoppelt noch sind uns deren Auswirkungen wirklich bewusst. Langsam erst dämmert uns unsere Abhängigkeit von einer endlichen Mitwelt und voneinander. Dabei spielen die neuen „Nervenbahnen“ der Neuen Medien und die Demokratisierung des Wissens durch das Internet eine wichtige Rolle. Langsam dämmert uns auch die Notwendigkeit, unsere eigenen Lebensentscheidungen, ob im Konsum oder dem Umgang mit dem „Anderen“ in Gesellschaft und Mitwelt in den Rhythmus eines zusammenhängenden Organismus zu bringen. Das alles weist auf unseren Eintritt in diese Ära der Organismierung der Menschheit hin! Für heute möchte ich damit Schluss machen, auch weil wir ja über dieses mein „Ping“ persönlich diskutieren können. Die Zukunft unserer zukunftspost sehe ich darin, für diese Ära einige intellektuelle Grundsteine zu legen. Ich freue mich schon auf unsere gemeinsame Arbeit „am Bau“! Dein Michael