Lieber Willy,
vielen Dank für Deine zukunftspost und Deine lieben Weihnachtswünsche. Leider habe ich es vor Weihnachten nicht geschafft, Dir zu antworten. Aber immerhin bin ich rechtzeitig dran, Dir und Deiner Familie ein erfolgreiches und vor allem gesundes Neues Jahr 2011 zu wünschen.
Es scheint, dass unsere zukunftspost jeweils nach einem Jahr in einen neuen Abschnitt eintritt, so auch mit diesem Jahreswechsel. Ich habe die Muße der Weihnachtszeit genutzt, unseren Austausch noch einmal kritisch zu lesen und bin dabei zur Erkenntnis gekommen, dass wir im Jahr 2010 weitgehende Übereinstimmung über die Basis einer nachhaltigen, selbstorganisierenden Gesellschaft gelegt haben. Ganz kurz möchte ich daher die wichtigsten Ecksteine einer solchen Gesellschaft zusammenfassen:
• Die Ausrichtung von Wirtschaft und Produktion am natürlichen Einkommen: Die eingestrahlte Sonnenenergie und die durch diese in Gang gehaltenen natürlichen Stoffkreisläufe und Energieflüsse stellen den festen Rahmen der wirtschaftlichen Aktivitäten der Gesellschaft und der menschlichen Produktion von Gütern und Bereitstellung von Dienstleistungen dar. Aus diesem Aspekt folgt, dass sich ein zukünftiges Sozialsystem an der gerechten Verteilung dieses natürlichen Einkommens (und dem fairen Zugang zu nicht-erneuerbaren Ressourcen als Mittel zur Nutzung dieses Einkommens) orientieren muss. Ebenso muss sich ein zukünftiges Währungssystem am natürlichen Einkommen orientieren und daran gebunden werden. Wir kommen also vom einstmaligen feudalen Goldstandard über den ungebremsten Idiotenstandard des ungezügelt wachsenden Spekulationskapitals zum nachhaltigen Solarstandard. Wie der genau aussehen kann, das ist eine der vielen Diskussionspunkte, die wir uns noch aufbehalten, damit uns auch in den nächsten Jahren nicht langweilig wird!
• Die Organisation der Gesellschaft in funktionalen, raumgebundenen und nicht hierarchischen regionalen Einheiten: Die Ausrichtung der Wirtschaft am natürlichen Einkommen macht eine adäquate politische Struktur notwendig. Das Leitkapital einer nachhaltigen Gesellschaft ist die Fläche und ihre natürliche Ausstattung (von Bodenfruchtbarkeit hin bis zur biologischen Vielfalt), da nur über Fläche das natürliche Einkommen der Sonneneinstrahlung genutzt werden kann. Die Verwaltung dieses Kapitals, aber auch jener lebenserhaltenden natürlichen Prozesse wie des Wasserkreislaufs, ist daher an funktionale räumliche Einheiten gebunden, die daher auch zu den entscheidenden Einheiten des politischen Handelns werden. Ebenso sind (bei aller möglichen individuellen Mobilität) gesellschaftliche und kulturelle Grundvorgänge wie Wohnen, die physische Grundversorgung aber auch viele Bildungs- und Kulturaktivitätenräumlich gebunden. Wir kommen daher von den feudalen Grundherrschaften über die Verrücktheit der ethnischen Nationalstaaten zu natur- und soziofunktionalen politischen Einheiten, die sich durchaus räumlich überlappen und durchsetzen. Das ist jetzt nicht unbedingt ein Plädoyer für chauvinistische Kleinstfürstentümer. Auch die Europäische Union kann eine solche funktionale Einheit sein. Was wichtig ist, ist dass diese Einheiten IHRE Funktionen regeln (und nicht ALLE Funktionen innerhalb ihres Territoriums) und mit den anderen regionalen Einheiten in einem gleichberechtigten politischen Diskurs über quer schneidende Problemstellungen eintreten. Es gibt daher keine „Hegemonie des Größeren“, sondern funktionale (und schlanke) Verwaltungen, die in Diskursform Zukunft machen. Erneut haben wir hier einen sehr interessanten Ansatzpunkt für zukünftige Diskussionsrunden in unserer zukunftspost, die das Zusammenwirken dieser Einheiten weiter aufhellen sollen.
• Basisdemokratische Entscheidungsmechanismen auf der Basis der aktiven Partizipation und der Vertrauensmaximierung: Solche funktionalen Einheiten können nicht mehr durch herkömmliche repräsentative (Partei-) Demokratien gelenkt werden. Vielmehr müssen jene Akteure, die durch diese Funktionen direkt betroffen sind (und die diese Funktionen direkt beeinflussen) in offenen und transparenten Entscheidungsvorgängen die Zukunft gestalten. In solchen Entscheidungsprozessen wird das Recht der Mitentscheidung durch aktive Teilhabe am Entscheidungsvorgang erworben, die Legitimation der Entscheidungen muss durch Vertrauen in die handelnden Akteure und durch die Konformität mit allgemeinen Regeln (einer „Europäischen Verfassung“??? Europa als „Funktionale regionale Einheit der Rechtstaatlichkeit“???) erarbeitet werden. Auch hier öffnet sich uns natürlich ein besonders breites Feld der Diskussion in den nächsten Monaten und Jahren, auf das ich mich schon ganz besonders freue!
• Die Finanzierung gesellschaftlicher Aktivitäten durch eine „natürliche Einkommenssteuer“ und die Einführung einer Grundsicherung als Menschenrecht: Logisch aus der Orientierung am natürlichen Einkommen ableitbar ist die Steuerbasis einer zukünftigen selbstorganisierenden Gesellschaft: Die Basisressourcen Grund und Boden sowie nicht erneuerbare Rohstoffe. Grundsätzlich soll ein Steuersystem ja dazu beitragen, den effizienten Umgang mit der beschränkenden Ressource der gesellschaftlichen Entwicklung zu fördern. Dies ist nach unserer gemeinsamen Auffassung Grund und Boden als Haupttransformator des natürlichen Einkommens in gesellschaftlich nutzbare Dienstleistungen. Daher ist es logisch, diese Ressource als Basis des Steuersystems zu nehmen. Zusätzlich dazu muss auch noch die in Anspruchnahme nicht erneuerbarer Ressourcen so effizient als möglich gestaltet werden und zukünftigen Generationen über eine entsprechende Steuer „abgekauft“ werden. Die genaue Ausgestaltung eines fairen Steuersystems wird uns natürlich auch noch weiterhin in der zukunftpost beschäftigen, ebenso wie die Verwaltung dieser Einkünfte und den Austausch zwischen den einzelnen funktionalen politischen Einheiten. Du hast ja hier bereits einen sehr interessanten Vorschlag gemacht, nämlich dass hier der Steuerfluss „auf den Kopf“ gestellt wird: Die kleinsten Einheiten zur Verwaltung des natürlichen Einkommens heben die Steuer ein und geben jeweils Anteile an die anderen Einheiten (also auch an die “höheren“) ab.
Aus dieser Steuerbasis geht auch logisch die Forderung nach einer Grundsicherung für alle hervor. Wird das natürliche Einkommen als Basis genommen, so hat natürlich jeder Mensch ein „natürliches“ Anrecht auf seinen Anteil daran. Das natürliche Einkommen „gehört“ ja niemandem, es ist ein Gottesgeschenk, ebenso wie das Leben und die persönliche Freiheit. Damit ist es klar, dass diejenigen, die derzeit das Kapital zur Nutzung des natürlichen Einkommens „besitzen“ (und nicht „im Eigentum haben“!) dem eigentlichen Eigentümer (= der menschlichen Gesellschaft in ihrer Gesamtheit) die Nutzung des Kapitals ablösen. Dieser Teil der Grundsteuer muss daher an alle Bürgerinnen und Bürger in Form einer Grundsicherung zurückfließen. Wir haben schon erörtert, dass dies nicht nur eine logische Folge aus der Orientierung am natürlichen Einkommen ist, sondern auch eine Grundvoraussetzung dafür, dass wir vom kanzerogenen Wachstumswahn der derzeitigen Wirtschaft abkommen können. Auch hier gibt es natürlich breites Diskussionsfeld, das uns für die zukunftspost zur Verfügung steht.
Diese Kurzzusammenfassung der Diskussion des Jahres 2010 soll uns helfen, in eine detaillierte Diskussion über einzelne Felder im nächsten Jahr einzutreten. Ich überlasse diesmal Dir den Aufschlag, welches Feld Dir am meisten am Herzen brennt.
Für heute möchte ich nur noch eine „Querschnittsmaterie“ (eigentlich hasse ich dieses Wort) ansprechen, nämlich Bildung für eine selbstorganisierende Gesellschaft. Dieses Thema ist aus mehreren Gründen wichtig. Einerseits ist natürlich Bildung die Basis jeder gesellschaftlichen Entwicklung (auch wenn das unsere Politiker nicht immer so sehen). Andererseits ist Bildung und die Organisation von Wissen bereits heute untrennbar mit einem anderen selbstorganisierenden Phänomen, dem Internet, verbunden. Ich glaube, dass wir überhaupt sehr viel über gesellschaftliche Selbstorganisation lernen können, wenn wir uns die Organisation, die Entscheidungsprozesse, aber auch die Wirtschaft des Internet näher ansehen. Ich glaube weiters, dass das Internet eine ganz wesentliche Funktionalität in der Entstehung und dem „Betrieb“ einer selbstorganisierenden nachhaltigen Gesellschaft ausüben wird. Das möchte ich in einer späteren zukunftspost, wenn es um die politische Gestaltung der Gesellschaft geht, noch einmal aufgreifen.
Nun aber zur Bildung, die mir natürlich als Hochschullehrer sehr am Herzen liegt. Erwarte aber bitte keine Generallösung für die PISA-Schwäche Österreichs oder die Uni-Misere in unseren Ländern. Ich will auch gar nicht auf die AUS-Bildung für bestimmte Berufe eingehen, schon deshalb nicht, weil ich einfach nicht weiß, wie die Berufe der Zukunft aussehen werden. Ich will vielmehr einige Grundlinien ziehen, von denen wir vielleicht eine weiterführende Bildungsdiskussion aufbauen können, wenn Dir das ebenso am Herzen liegt wie mir.
Zuerst einmal möchte ich darstellen, worum es mir geht: Für mich ist Bildung der Erwerb und die Pflege jener Fähigkeiten, die es einem Menschen möglich machen, an der gesellschaftlichen Selbstorganisation teilzuhaben.
Eine selbstorganisierende Gesellschaft ist aber auch eine sich immer verändernde Gesellschaft, die auch ihre Teilhabebedingungen verändert. Damit ist Bildung ein dauernder, kontinuierlicher Prozess gesellschaftlicher Prozess. Hier kommen wir in eine interessante Zirkeldefinition: Bildung ist nicht nur ein Vorgang, der zur Teilhabe an der gesellschaftlichen Selbstorganisation ermächtigt, sondern, da Bildung selbst ein Teil dieser Selbstorganisation ist, ein Vorgang, der auch zur Teilhabe an sich selbst ertüchtigt. Wir brauchen also „Bildung für Bildung“!
Grundsätzlich glaube ich, dass wir vier unterschiedliche aber unverzichtbare Elemente in jeder Bildung haben. Einerseits geht es um Kulturtechniken, also jene Fähigkeiten, die notwendig sind um am Bildungsprozess selbst teilzuhaben. Lesen und schreiben (in der Muttersprache, aber auch der Sprache des Lebensumfeldes) sowie rechnen sind die konventionellen Kulturtechniken, die nun durch die Nutzung von Internet und weiteren elektronischen Informationstechniken (Mobiltelefon, etc.) zu ergänzen sind. Altmodisch wie ich bin glaube ich, dass man diese Techniken nur „erlernen“ kann, und dass das so früh als möglich erfolgen sollte. Unsere Grundschulen sollten daher diesen Kulturtechniken vorbehalten bleiben und von allem anderen Zinnober befreit werden. Wenn die Kinder mit zehn Jahren Lesen und auch schreiben können und die Grundrechnungsarten beherrschen, aber auch mit Mobiltelefon und Internet zumindest angefreundet sind, wäre das toll!
Ein zweites Element sind für mich Analysetechniken, also die Vermittlung von Denkstrukturen zur Einordnung der Prozesse in der Realität. Hier geht es nicht um „Wissen“ sondern um Konzepte wie Bilanzen (gut zu brauchen im Wirtschaftleben, ebenso wie in der Naturwissenschaft), statistische Grundlagen aber auch wesentliche Grundkonzepte der Sozial-, Wirtschafts- und Politikprozesse. Ganz besonders wichtig ist hier das Konzept der Sprache, da sollte die Bildung dazu anleiten, wie man sich Sprachen aneignen kann. Denkstrukturen sind sicherlich ein gutes Feld für lebenslanges Lernen, aber ich würde hier gerade in der Zeit zwischen zehn und fünfzehn Jahren einen Schwerpunkt setzen, wobei hier sehr viel praktische Übung als Vermittlungsprinzip eingesetzt werden soll.
Ein drittes Element ist Einordnungswissen. Hier geht es um Konzepte der Bewertung, der Systematisierung. Das beginnt bei philosophischer Bildung (inklusive der Logik), geht über ethische Bildung bis zur Bewertung von Information, von sozialer Transparenz und Vertrauen. Auch das ist natürlich ein lebenslanger Auftrag, aber besonders im Alter von fünfzehn Jahren aufwärts wichtig.
Ein viertes, zeitlich durchlaufendes Element ist die Herausforderung der Kreativität und Selbstverantwortung. Dieses Element sollte von „cradle to grave“ ein Hauptelement der Bildung sein, wobei dies nicht nur im künstlerischen und kulturellen Bereich angesiedelt sein soll. Es geht auch darum, gesellschaftlich und wirtschaftlich kreativ zu sein und Menschen dazu zu ertüchtigen.
Für heute will ich es bei der Beschreibung dieser grundlegenden Elemente belassen und hoffe auf einen „gut geschnittenen“ Ball von Dir, damit wir diese wichtige Diskussion weiter vertiefen können.
Lieber Willy, noch mal ein gesundes und erfolgreiches Neues Jahr Dir und Deiner Familie
Dein Michael
Freitag, 31. Dezember 2010
Abonnieren
Posts (Atom)